Empfehlung 64 (1999)1 betreffend die Lage der kommunalen Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland

Der Kongress,
mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. In Anbetracht des Beschlusses seines Präsidiums, auf Bitten der deutschen Delegation in der Kammer der Gemeinden einen Bericht über die Lage der kommunalen Finanzen in Deutschland auszuarbeiten;

2. Nach Prüfung des sehr ausführlichen Berichts, den Herr Frécon, unterstützt von einem Fachberater, erstellt hat, nachdem er bei mehreren Deutschlandbesuchen Gelegenheit hatte, die Stellungnahmen der auf Bundesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbände (Städtetag, Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund), von Vertretern der Bundesministerien des Innern und der Finanzen, von Vertretern der Regierungen und der kommunalen Spitzenverbände einiger Länder (Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen) sowie einiger Städte und Regierungsbezirke einzuholen;

3. Stellt fest, dass Artikel 28, Absatz II der Bundesverfassung wie auch alle Länderverfassungen das Recht auf Selbstverwaltung garantieren;

4. Stellt fest, dass die Bundesrepublik einer der ersten Staaten war, der die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (ECKS) ratifizierte (22. Januar 1987);

5. Nimmt allerdings die Vorbehalte bei der Anwendung des Art. 9.3 der ECKS auf die Landkreise sowie der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden zur Kenntnis;

6. Begrüsst vor allem die Tatsache, dass die Verfassungen und Gesetzgebung der neuen Bundesländer sich an den in der ECKS formulierten Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung orientieren;

7. Hat festgestellt, dass sich die Lage der kommunalen Finanzen in Deutschland in den letzten Jahren sehr verschlechtert hat infolge:
- der überproportionalen Zunahme der Soziallasten (Betagte, Kinderkrippen, Alleinerziehende, Asylbewerber, Behinderte, Arbeitslose usw.), bei denen es sich um Verpflichtungen handelt, denen die kommunalen Gebietskörperschaften aufgrund von Bundes- und Ländergesetzen nachkommen müssen und die sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt haben;

8. Feststellend, dass die kommunalen Gebietskörperschaften gezwungen waren, ihre freiwilligen Ausgaben, die faktisch den Spielraum ihrer Finanzautonomie darstellen, beträchtlich zu verringern und dass dies insbesondere eine starke Abnahme der Investitionen zur Folge hatte, während üblicherweise zwei Drittel der öffentlichen Investitionen von den kommunalen Gebietskörperschaften getätigt werden;

9. Im weiteren feststellend, dass die kommunalen Gebietskörperschaften gezwungen sind, ihre Haushalte aus ihren Eigenmitteln oder durch Realisierung ihrer Aktiva (Immobilien, Beteiligung an Gesellschaften usw.) auszugleichen, und dass ungeachtet dieser Bemühungen um finanzielle Konsolidierung eine wachsende Anzahl Städte und Gemeinden ihren Haushalt trotz entsprechender gesetzlicher Verpflichtung nicht mehr ausgleichen können (das Defizit der Städte und Gemeinden erreichte von 1993 bis 1998 im Mittel 10 Milliarden DM), dies insbesondere in einigen Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen - abgesehen noch von den strukturellen Problemen in den neuen Bundesländern.

10. Feststellend, dass die sich daraus ergebende Verschuldung diese kommunalen Gebietskörperschaften wegen der zunehmenden Schuldenlast in eine angespannte Finanzlage versetzt, so dass sie vermehrt zu Kassenkrediten Zuflucht nehmen, da sie nicht befugt sind, für ihre Ausgaben im Verwaltungshaushalt langfristige Kredite aufzunehmen;

11. Feststellend, dass trotz der erheblichen Anstrengungen, die fünf neuen Länder finanziell zu unterstützen, deren kommunale Gebietskörperschaften ihre Investitionsanstrengungen im Vergleich zu 1992 erheblich haben verringern müssen, vor allem deshalb, weil sie nicht über genügende Finanzmittel verfügen, um die durch ihre neuen Einrichtungen verursachten Betriebskosten zu decken; ausserdem haben die kommunalen Gebietskörperschaften der neuen Länder aufgrund ihrer schwachen Steueraufkommen (31 % derjenigen der kommunalen Gebietskörperschaften im Westen), des Rückstandes ihrer Infrastrukturen, der Notwendigkeit, ehemals durch staatliche Betriebe erbrachte Dienstleistungen heute selbst zu erbringen und schliesslich durch die höhere Zahl ihrer Arbeitslosen mit Schwierigkeiten zu kämpfen; so waren sie 1998 gezwungen, ihre Ausgaben um 1,6 % zu reduzieren, um ihre um 1,7 % gesunkenen Einnahmen zu kompensieren - obwohl ihr Aufholbedarf noch gross ist;

12. hält es für notwendig, folgende Feststellungen und Empfehlungen zu formulieren, die insbesondere Bereiche aufzeigen, die nicht im Einklang mit verschiedenen Artikeln der ECKS stehen;
A. Inbezug auf Artikel 9, Abschnitt 1 der ECKS2

1. Davon ausgehend, dass sich die kommunale Selbstverwaltung an den Mitteln bemisst, über welche die kommunalen Gebietskörperschaften selbst verfügen können, ist er der Meinung, dass der Spielraum der kommunalen Finanzautonomie in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der erheblichen Zunahme der gesetzlich erzwungenen Ausgaben der kommunalen Gebietskörperschaften in den letzten Jahren beträchtlich geschrumpft ist;

2. In Erwägung, dass die lokalen Eigenmittel durchschnittlich etwa 50% der Ausgaben ausmachen (welcher Prozentsatz allerdings in den Ostländern mit 13-37% noch viel geringer ist), und dass dieser Anteil unbefriedigend ist, besonders wenn man bedenkt, dass der Anteil an den Gemeinschaftssteuern (Anteile der Einkommens- und der Mehrwertsteuer, das heisst jener Steuern, auf deren Satz die Gemeinden keinen Einfluss haben) etwa die Hälfte der eigenen Einkünfte ausmacht;

3. Feststellend, dass sich die kommunalen Gebietskörperschaften gezwungen sahen, die Gebühren für die den Bürgern und den Unternehmen gebotenen Dienstleistungen innerhalb von zehn Jahren um 70% zu erhöhen;

4. In Anbetracht dessen, dass zahlreiche Städte und Landkreise der Ansicht sind, trotz Bemühungen um eine Erhöhung von Steuern und Abgaben über zuwenig Einkommen zu verfügen, und dass sie wegen ungenügender Finanzausstattung gegen ihre jeweiligen Länder Verfassungsbeschwerde eingelegt haben;

5. Feststellend, dass die finanziellen Zuweisungen für den Ausgleich der geringen Eigeneinnahmen in den Ländern im Osten verhältnismässig höher sind als in den Ländern des Westens, dass diese Zuweisungen jedoch tendenziell abnehmen und durch ein derzeit noch ungewisses Wachstum der eigenen Einnahmen kompensiert werden müssen;

6. Sehr besorgt angesichts der anwachsenden Schulden zahlreicher Städte, die die kommenden Rechnungsjahre zu belasten drohen, zumal viele dieser Städte und Gemeinden in den nächsten 4-5 Jahren oder sogar noch länger nicht in der Lage sein werden, ihre Haushalte zu konsolidieren, obwohl das Gesetz die Konsolidierung innerhalb von zwei Jahren vorschreibt (so betragen die kumulierten kommunalen Defizite in Rheinland-Pfalz 1,2 Milliarden DM);

7. Überzeugt, dass die Finanzlage der deutschen kommunalen Gebietskörperschaften kritisch geworden und es daher geboten ist, ihnen einen ausreichenden finanziellen Spielraum für die Durchführung ihrer Aufgaben zu geben;

8. Besorgt angesichts der negativen Folgen, welche Reformprojekte wie etwa eine Senkung der Einkommenssteuer, eine Reform des Familienlastenausgleichs, der Anstieg der Sozialausgaben und Anhebung der Energiesteuern für die kommunalen Finanzen haben könnten;

9. Nimmt zur Kenntnis, dass im Dezember 1998 die Regierungschefs der deutschen Länder übereingekommen sind, die bundesstaatlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmeverteilung unter Einbeziehung aller Finanzströme, auch in Bezug auf die Gemeinden und Gemeindeverbände einer kritischen Prüfung zu unterziehen und an den betreffenden Arbeiten zu den Gemeindefinanzen die Gemeinden zu beteiligen;

10. Empfiehlt den Organen der Bundesrepublik Deutschland, eine Reform des kommunalen Finanzwesens mit dem Ziel ins Auge zu fassen, einerseits unter Beachtung von Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes ein starkes kommunales Steuerwesen wiederherzustellen wobei vor allem Kommunalsteuern gestärkt werden, bei denen die kommunalen Gebietskörperschaften ein Hebesatzrecht haben, und andererseits eine Revision der Bestimmungen betreffend die finanzielle Zuweisung von Mitteln für die Pflichtausgaben der kommunalen Gebietskörperschaften für die Umsetzung der Gesetze von Bund und Ländern ins Auge zu fassen(s. unten unter B);

11. Empfiehlt, zu diesem Zweck einen ständigen Ausschuss aus Vertretern des Bundestags und des Bundesrats und solchen der Gemeinden, Städte und Landkreise mit dem Auftrag einzusetzen, eine Bestandsaufnahme des kommunalen Finanzwesens vorzunehmen, neue Massnahmen vorzuschlagen und diese Situation ständig zu beobachten;

B. Inbezug auf Artikel 9, Abschnitt 2 der ECKS 3

1. Überzeugt, dass die ungebrochene Tendenz des Bundes (und der Länder), auch bei pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben Normen und Standarts so hoch anzusetzen und damit den kommunalen Gebietskörperschaften fast jeden Ermessensspielraum zu nehmen, zu einer Verletzung des Art. 2 Abs. 2 der ECKS führt, da eine direkte Finanzverpflichtung des Bundes gegenüber den kommunalen Gebietskörperschaften hierdurch nicht entsteht;

2. Feststellend, dass der erhebliche Anstieg der pflichtigen Sozialausgaben der kommunalen Gebietskörperschaften nicht genügend durch die finanziellen Zuweisungen, die diese von den Ländern erhalten kompensiert wird, obwohl diese ihrerseits Zuweisungen vom Bund bekommen (nach Mitteilung der Stadt München beträgt diese Kompensation nur 40 %, nach dem bayerischen Gemeindeverband 50 %);

3. Einräumend, dass in manchen Ländern auf der Ebene der Landkreise Personal und/oder Gebäude zur Verfügung gestellt werden – was jedoch für die kreisfreien Städte nicht der Fall ist;

4. Feststellend, dass gewisse Länder, insbesondere Baden-Württemberg (Artikel 71, Abschnitt 3 der Landesverfassung) und Thüringen (Artikel 33 der Landesverfassung) sowie Brandenburg (Art. 97 Abs. 3 der Landesverfassung) und Schleswig-Holstein (Art. 49, Abs. 2 der Landesverfassung), in ihrer Verfassung das Konnexitätsprinzip eingeführt haben, das es den kommunalen Gebietskörperschaften, wenn nötig mittels einer Klage vor Gericht ermöglicht, für die Umsetzung der Landesgesetze eine angemessene finanzielle Kompensation zu erhalten; dies löst allerdings nicht das Problem der Umsetzung der Bundesgesetze;

5. Im übrigen bedenkend, dass die Länder Rheinland-Pfalz und Hessen keinerlei Bestimmungen mit Regeln betreffend die Verhältnismässigkeit der Mittel, bezogen auf die delegierten Aufgaben, kennen; dass die Länder Bayern und Sachsen nur die Verpflichtung kennen, Mittel vorzusehen, jedoch ohne Hinweis auf eine "angemessene" Kompensation; das selbe gilt für die Länder, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern; nur die Verfassungen der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen enthalten günstigere Bestimmungen;

6. Empfiehlt allen Ländern, in ihre Verfassungen das Konnexitätsprinzip aufzunehmen, das sich an den Mustern von Baden-Württemberg, Thüringen und Schleswig-Holstein und Brandenburg orientiert, wo ausdrücklich eine den neuen, an die kommunalen Gebietskörperschaften delegierten Aufgaben "entsprechende" oder "angemessene" finanzielle Kompensation vorgesehen ist;

7. Meint allerdings, dass die Einführung des Konnexitätsprinzips nicht zu einer Verringerung der Finanzausgleichszahlungen an die schwächeren Gemeinden führen dürfe;

8. Empfiehlt, dass der ständige Ausschuss, dessen Bildung weiter oben unter A.11 angeregt wurde, die Möglichkeit prüft, das Konnexitätsprinzip auch auf Bundesebene einzuführen (wie dies der Deutsche Juristentag 1996 befürwortete), wie auch Mechanismen für eine Abschätzung der durch die Umsetzung der Bundesgesetze auf kommunaler Ebene verursachten tatsächlichen Kosten;

9. Lädt die Bundesregierung ein, die Möglichkeit einer finanziellen Beteiligung des Bundes an jenen Sozialleistungen zu erwägen, die durch das Gebot der Gleichbehandlung auf dem gesamten Bundesgebiet erforderlich werden, während die Länder und Kommunen nur die ergänzenden kommunalen und regionalen Leistungen übernehmen würden, wie dies die OECD 1998 sowie der deutsche Städte- und Gemeindebund empfohlen haben;
C. Inbezug auf Artikel 9.3 der ECKS 4

1. Feststellend, dass die Gemeinden in Deutschland prinzipiell den Hebesatz ihrer Gewerbesteuer, der beiden Grundsteuern und der Bagatellsteuern wie Theatersteuer, Steuern auf Zweitwohnsitze und Hundesteuern, selbst festlegen können;

2. Besorgt angesichts dessen, dass infolge der Reformen der Gewerbesteuern (die teilweise durch 2,2% der Mehrwertsteuer ersetzt wurden) und des an Land und Bund abzuführenden Betrags, der nach Kriterien eines Finanzausgleichs umverteilt wird (durchschnittlich 20-30 % der Gewerbesteuer) die letzten Jahre eine merkliche Verminderung jener Steuern gebracht haben, deren Hebesatz die Gemeinden wirklich selbst festlegen können;

3. Empfiehlt deshalb den Organen von Bund und Ländern, die Finanzautonomie zu stärken:

D. Inbezug auf Artikel 9.4 der ECKS 5

1. Ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland die Forderungen dieses Absatzes recht gut erfüllt, da die Eigenmittel der Gemeinden (nach der Rangfolge ihrer Bedeutung:) aus der Gewerbesteuer, dem Einkommensteueranteil, der Grundsteuer, dem Anteil an der Mehrwertsteuer und den Steuern auf Verbrauch und Aufwand stammen (jedenfalls in den meisten Bundesländern);

2. Ist der Ansicht, dass die Eigenmittel der deutschen kommunalen Gebietskörperschaften daher diversifiziert und teilweise fest, teilweise im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung flexibel sind;
E. Inbezug auf Artikel 9.5 der ECKS 6

1. Feststellend, dass der Finanzausgleich integrierender Bestandteil des deutschen Föderalismus ist, legt das Grundgesetz doch die Pflicht des Staates zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse fest,

2. Feststellend, dass dieses Verfassungsprinzip auf allen Ebenen angewendet wird; mehrere Mechanismen des Finanzausgleichs funktionieren in der Vertikalen zwischen Bund und Ländern, Ländern und Kommunen, sowie in der Horizontalen zwischen den Ländern sowie zwischen den Kommunen (dies allerdings nur in gewissen Ländern wie beispielsweise Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen); auch die Verteilung der Gemeinschaftssteuern berücksichtigt Finanzausgleichskriterien;

3. Feststellend, dass dieses Ausgleichssystem im Rahmen der Solidarität für die deutsche Einheit umfassend funktioniert und inzwischen Kritiken laut werden lässt von seiten:

4. Stellt fest, dass die vertikalen - in einigen Ländern auch horizontalen - Finanzausgleichsmechanismen zwischen den Kommunen, die auf Kriterien im Zusammenhang mit der Finanzkraft und den realen Bedürfnissen der Gemeinden beruhen, sehr wirksam funktionieren; die Kompensationsrate ist mehr oder weniger hoch, so beträgt sie 100% in Thüringen, 95% in Nordrhein-Westfalen, 90% in Baden-Württemberg; eine Besonderheit des deutschen Ausgleichssystems ist die Berücksichtigung des Ausstattungsbedarfs der grossen Städte, denen Indizes bis zu 140/160% Finanzbedarf pro Einwohner zuerkannt werden (Anerkennung der Rolle von zentralen Orten, welche Einrichtungen für andere Gemeinden in ihrer Umgebung vorhalten);

5. Empfiehlt den Organen von Bund und Ländern, sich in Zukunft, wenn dereinst die Anstrengungen im Rahmen der Solidarität für die deutsche Einheit abnehmen, für ein besseres Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des Finanzausgleichs einerseits und dem Interesse der Länder und Gemeinden an einer vernünftigen Finanzautonomie andererseits einzusetzen;
F. Inbezug auf Artikel 9, Absatz 6 der ECKS 7

1. Stellt mit Befriedigung fest, dass das Anhörungsrecht in einer Reihe von Ländern in der jeweiligen Landesverfassung (Sachsen: Artikel 84, Absatz 2, Brandenburg: Artikel 97, Absatz 4, Baden-WürttembergArt. 71, Abs. 4; Thüringen Art. 91, Abs.4) festgelegt ist;

2. Stellt jedoch mit Besorgnis fest, dass sich die kommunalen Verbände nicht nur in den Ländern, die keine verfassungsrechtliche oder sonstige rechtliche Verankerung dieses Anhörungsrechtes kennen, darüber beklagen, nicht immer konsultiert zu werden; die niedersächsische Regierung ist sogar vom Verfassungsgericht des Landes aufgefordert worden, mit den kommunalen Spitzenverbänden besser zusammenzuarbeiten;

3. In Kenntnis des von den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände einstimmig geäusserten Urteils, wonach die Konsultation auf Bundesebene ungenügend und sogar unwirksam ist, obwohl sie in den Geschäftsordnungen der Bundesregierung und des Parlamentes nicht aber der zweiten Kammer vorgesehen ist;

4. Empfiehlt den Ländern, die dies bisher noch nicht getan haben, das Recht der kommunalen Spitzenverbände auf Konsultation vorzugsweise in ihre Verfassung, sonst aber zumindest in ihre kommunalen Verfassungsgesetze aufzunehmen;

5. Der Ansicht, dass das Recht auf Konsultation in Anbetracht der Tatsache, dass 80% der Bundesgesetze durch die kommunalen Gebietskörperschaften umgesetzt werden müssen, auch auf Bundesebene gewährleistet sein muss;

6. Empfiehlt den Bundesorganen, das Recht auf Konsultation der kommunalen Spitzenverbände zu Gesetzen, die die kommunalen Gebietskörperschaften betreffen oder durch sie umgesetzt werden sollen, gesetzlich oder durch Einführung dieses Rechts in das Grundgesetz zu stärken;

G. Inbezug auf Artikel 9.7 der ECKS 8

1. Stellt fest, dass die finanziellen Zuweisungen der Länder an die kommunalen Gebietskörperschaften (der Bund zahlt den kommunalen Gebietskörperschaften keine direkten Subventionen) durchschnittlich etwa 40% betragen; in den fünf neuen Ländern sind sie höher und liegen bei etwa 70%;

2. Stellt im übrigen fest, dass formell durchschnittlich 75% dieser Zuweisungen als Pauschalzuweisungen erfolgen, über welche die kommunalen Gebietskörperschaften frei verfügen können, der Rest erfolgt als, die Finanzautonomie der kommunalen Gebietskörperschaften einschränkende Zweckzuweisungen, wobei in den fünf neuen Ländern die für die Finanzierung von Infrastrukturen gewährten Zuweisungen sehr viel umfangreicher sind als im Westen;

3. Sieht sich zu der Feststellung genötigt, dass in manchen Ländern das System der "Sondertöpfe" praktiziert wird, d.h. spezieller Fonds, die von den die Verwaltungen verschiedener Ministerien wie Bau, wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, bezahlt werden und die faktisch Zweckzuweisungen gleichkommen, die nicht unbedingt den durch die kommunalen Gebietskörperschaften für notwendig erachteten Zwecken entsprechen; so lassen sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen etwa 800 solche Sondertöpfe ausmachen, in Bayern 240 und in Baden-Württemberg 150; wenn man diese Spezialfonds mit einberechnet, dann übersteigen die Zweckzuweisungen in manchen Ländern die allgemeinen Zuwendungen, was dem Artikel 9.7 der ECKS nicht mehr entspricht;

4. Empfiehlt denjenigen Ländern, die eine sehr ausgeprägte Politik der Sondertöpfe betreiben, diese zumindest zum Teil in pauschale Investitionshilfen an die kommunalen Gebietskörperschaften, unter Berücksichtigung auch der Kleinstädte und der ländlichen Gemeinden, umzuwandeln;
H. Inbezug auf Artikel 9, Absatz 8 der ECKS 9

1. Stellt fest, dass der Zugang zu Krediten in Deutschland streng geregelt und auf die Finanzierung von Investitionsausgaben beschränkt, ausserdem aufgrund der im Vertrag von Maastricht festgelegten Kriterien im Hinblick auf die einheitliche europäische Währung durch den Stabilitätsplan kontrolliert ist; daher decken die deutschen kommunalen Gebietskörperschaften durchschnittlich nur 3 bis 4 % ihrer Gesamtausgaben durch Kredite, was ein geringer Anteil ist;

2. Stellt fest, dass sich die deutschen kommunalen Spitzenverbände über die ausgehend von der Finanzkraft der kommunalen Gebietskörperschaften, das heisst faktisch aufgrund des Pro-Kopf-Einkommens ihrer Einwohner, berechneten Höchstgrenzen für Verschuldungen beklagen, da dies bedeutet, dass überwiegend wohlhabende Gebietskörperschaften Darlehen aufnehmen können;

3. Empfiehlt den Organen des Bundes und der Länder, die Obergrenzen für die Kreditaufnahme flexibler zu gestalten, vor allem in dieser Zeit der Krise der kommunalen Finanzen, der zahlreiche deutsche kommunale Gebietskörperschaften unterworfen sind;
I. Inbezug auf Artikel 11 der ECKS 10

1. Zwar feststellend, dass die kommunalen Gebietskörperschaften formell berechtigt sind, vor den Gerichten zu klagen:

2. In Anbetracht der Tatsache, dass einige Bestimmungen über die Finanzausstattung so formuliert sind, dass die Berücksichtigung der Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften sehr unwahrscheinlich wird (siehe Abschnitt B.5 und 6, oben);

3. Empfiehlt den deutschen kommunalen Spitzenverbänden, die Gemeinden, Städte und Landkreise bei gerichtlichen Verfahren auch auf die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung zu verweisen;

J. Fordert den Bund und die Länder auf, die Bestimmungen der ECKS vollständig zu beachten, indem sie die obigen Empfehlungen in die Praxis umsetzen;

K. Fordert die deutschen Delegationen in der Kammer der Gemeinden und der Kammer der Regionen auf, den Kongress über die Entwicklungen der Lage der kommunalen finanziellen Selbstverwaltung in ihrem Lande im einzelnen auf dem Laufenden zu halten.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 16. Juni 1999 und Annahme durch den Ständigen Ausschuß am 17. Juni 1999 (siehe Dok. CPL (6) 3 revidierte 2, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Herrn J.-C. Frécon, Berichterstatter).

2 Die kommunalen Gebietskörperschaften haben im Rahmen der nationalen Wirtschaftspolitik Anspruch auf angemessene Eigenmittel, über die sie in Ausübung ihrer Zuständigkeiten frei verfügen können.

3 Die Finanzmittel der kommunalen Gebietskörperschaften müssen in angemessenem Verhältnis zu den durch die Verfassung oder das Gesetz vorgesehenen Zuständigkeiten stehen.

4 Die Finanzmittel der kommunalen Gebietskörperschaften müssen zumindest teilweise aus kommunalen Steuern und Gebühren stammen, bei denen sie das Recht haben, den Hebesatz im gesetzlichen Rahmen festzusetzen.

5 Die Finanzierungssysteme, auf denen die Mittel beruhen, die den kommunalen Gebietskörperschaften zur Verfügung stehen, müssen ausreichend vielfältig und dynamisch gestaltet sein, damit diese soweit wie praktisch möglich in die Lage versetzt werden, mit der tatsächlichen Entwicklung der Kosten für die Ausübung ihrer Zuständigkeiten Schritt zu halten.

6 Der Schutz der finanziell schwächeren kommunalen Gebietskörperschaften erfordert die Einführung von Finanzausgleichsverfahren oder gleichwertigen Massnahmen, die zum Ausgleich der Auswirkungen ungleicher Verteilung der möglichen Finanzierungsquellen und der Kostenlasten bestimmt sind. Derartige Verfahren oder Massnahmen dürfen die Entscheidungsfreiheit der kommunalen Gebietskörperschaften in ihrem eigenen Verantwortungsbereich nicht schmälern.

7 Die kommunalen Gebietskörperschaften werden auf geeignetem Weg zu der Frage angehört, in welcher Weise ihnen umverteilte Mittel zugeteilt werden sollen.

8 Soweit möglich werden Zuweisungen an die kommunalen Gebietskörperschaften nicht zur Finanzierung bestimmter Vorhaben vorgesehen. Die Gewährung von Zuweisungen darf die grundsätzliche Freiheit der kommunalen Gebietskörperschaften, die Politik in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen zu bestimmen, nicht beeinträchtigen.

9 Zur Finanzierung ihrer Investitionsausgaben haben die kommunalen Gebietskörperschaften im Rahmen der Gesetze Zugang zum nationalen Kapitalmarkt.

10 Rechtsschutz der kommunalen Selbstverwaltung: Den kommunalen Gebietskörperschaften muss der Rechtsweg offenstehen, um die freie Ausübung ihrer Zuständigkeiten und die Achtung derjenigen Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung sicherzustellen, die in der Verfassung oder den innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegt sind.