14. PLENARTAGUNG
(Straßburg, 30. Mai – 1. Juni 2007)

Der institutionelle Rahmen der interkommunalen Kooperation

Empfehlung 221(2007)[1]


Der Kongress, mit Bezug auf einen Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Unter Verweis auf:

a. Artikel 2, Absatz 1b der Entschließung (2000) 1 des Ministerkomitees den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas betreffend, in dem es heißt, ein Ziel des Kongresses ist die Vorlage von Vorschlägen an das Ministerkomitee zur Förderung der lokalen und regionalen Demokratie;

b. Artikel 2, Absatz 3 der gleichen Entschließung, in dem es heißt, der Kongress sorgt sich um die tatsächliche Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (nachstehend die "Charta" genannt);

c. Artikel 10.1 der Europäischen Charta der kommunalen Sebstverwaltung;

d. den Bericht über die interkommunale Kooperation, vorgelegt von Michel Guégan (Frankreich, L, FL) und ausgearbeitet in Zusammenarbeit mit der Gruppe unabhängiger Experten, ausgehend von einem Beitrag von Professor Angel-Manuel Moreno (Spanien) (CPL (14)6REP) ;

2. Unterstreicht, dass die Charta ausdrücklich das Recht der Gemeinden vorsieht, untereinander zu kooperieren und sich zusammenzuschließen, um ihre Effizienz durch gemeinsame Projekte zu stärken und Aufgaben zu übernehmen, die über die Kapazität einer einzigen Gebietskörperschaft hinausgehen[2];

3. Legt großen Wert auf die interkommunale Kooperation, die in einigen Ländern bereits verbreitet ist und sich in anderen Ländern rasch entwickelt. Sie hilft, wirtschaftliche Einsparungen vorzunehmen und die Gemeindeangelegenheiten auf lokaler Ebene effizienter zu verwalten;

4. Ist der Auffassung, dass die Entwicklung der interkommunalen Kooperation angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Gemeinden stehen, wichtig ist: Effizienz der modernen Gesellschaft bei Dezentralisierung und Globalisierung, damit die immer komplexeren sozialen Forderungen und die Bedürfnisse einer Bevölkerung erfüllt werden können, die mobiler oder manchmal übermäßig zersplittert ist (große städtische Ballungsgebiete, kleine Gemeinden, Zersplitterung der Gemeinden, verstreute ländliche Bevölkerung etc);

5. Ist der Auffassung, dass die interkommunale Kooperation beträchtliche Vorteile gegenüber dem Zusammenschluss der Gemeinden oder der Privatisierung der öffentlichen Dienste mit sich bringt, da der Zusammenschluss manchmal den Traditionen der örtlichen Bevölkerung widerspricht und die Privatisierung der öffentlichen Dienste nicht immer die fehlenden öffentlichen Strukturen bei der Verwaltung und Entscheidung über kommunale Angelegenheiten ausgleichen kann;

6. Ist der Auffassung, dass die interkommunale Kooperation umso wünschenswerter in den Ländern ist, in denen die Regionalisierung weniger weit entwickelt ist;

7. Stellt fest, dass die interkommunale Kooperation unterschiedliche Formen in Europa annehmen kann. Sie kann von den territorialen Gebietskörperschaften frei gewählt oder aufgezwungen, gesetzlich vorgesehen werden oder andere Grundlagen haben (Vertrag). Sie kann die Schaffung einer Rechtspersönlichkeit des öffentlichen Rechtes oder des Privatrechtes oder einer neuen territorialen Gebietskörperschaft erfordern, die den Bestimmungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung unterliegt oder auch nicht und durch sehr allgemeine oder auch sehr präzise oder zwingende Bestimmungen geregelt wird;

8. Stellt fest, dass diese Vielfalt an sich kein Nachteil für die Ausübung der Befugnisse der dezentralisierten Gebietskörperschaften und ihrer interkommunalen Kooperationsstrukturen oder für die grenzüberschreitende Kooperation dieser Gebietskörperschaften und ihrer interkommunalen Kooperationsstrukturen ist;


9. Erkennt jedoch an, dass einige der Auffassung sind, dass die interkommunale Kooperation in einigen Fällen zu einem demokratischen Defizit führen kann, da die Bürger bei der Errichtung der interkommunalen Kooperationsstrukturen nicht konsultiert werden oder die Mitglieder der Räte und Vorstände dieser interkommunalen Organe nicht von den Bürger gewählt  werden;

10. Stellt fest, dass einige besorgt sind angesichts der Möglichkeit, das Ziel der interkommunalen Kooperation so zu verfälschen, dass die Gemeindepolitiker ihrer politischen Verantwortung entgehen und die öffentlichen Dienste an entfernte interkommunale Strukturen weiterreichen können, die undurchsichtig sind und keiner Gemeinde ausschließlich angehören.

11. Ausgehend von diesen verschiedenen Feststellungen:

a. empfiehlt der Kongress den Mitgliedstaaten (auf Ebene der nationalen, föderalen und/oder föderativen Behörden); 

i.       die interkommunale Kooperation anzuregen und zu unterstützen, insbesondere wenn diese noch nicht besteht oder noch in den Kinderschuhen oder in der Entwicklung steckt;

ii.       einen Rechtsrahmen zu schaffen, der präzise, vorausschaubar und zugänglich genug für die Ausübung der interkommunalen Kooperation ist, insbesondere in den Ländern, in denen es keinen spezifischen Rechtsrahmen für die interkommunale Kooperation gibt oder dieser Rechtsrahmen nicht ausreichend kohärent, harmonisiert oder aktuell ist;

iii.      die Gemeindepolitiker auf die Vorteile der interkommunalen Kooperation aufmerksam zu machen und gegebenenfalls Ausbildungsmodelle für die Schaffung und die Funktionsweise der spezifischen Mechanismen der interkommunalen Kooperation einzurichten;

iv.      eine oder mehrere geeignete Kosten-Nutzenanalysen der interkommunalen Kooperation und der Zusammenlegung der Gemeinden einerseits und der Privatisierung der öffentlichen Dienste andererseits zu erstellen, bevor die Privatisierung dieser Dienste oder die Zusammenlegung der Gemeinden beschlossen werden;

v.         die Rolle der Bevölkerung in den Gemeindebehörden bei der Schaffung und der Aufhebung der spezifischen interkommunalen Kooperationsmechanismen zu verstärken unter Einbeziehung der Partnerschaften und des lokalen Charakters, um die kulturelle und landschaftliche Vielfalt Europas, insbesondere in ländlichen Gebieten zu verteidigen;

vi.      durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass die betroffene Bevölkerung in den Bereichen, die in die Kompetenz der interkommunalen Strukturen fallen, während des gesamten Bestehens der öffentlichen oder privaten Strukturen effektiv beteiligt werden;

vii.     auch Minderheitenmeinungen der Ortsverbände in den Strukturen der interkommunalen Kooperation zuzulassen;

viii.    entsprechende Techniken und Verfahren zu entwickeln, um das gute Regieren und die Transparenz bei der Entscheidungsfindung und der Funktionsweise der spezifischen Mechanismen und Organismen der interkommunalen Kooperation zu fördern;

ix.      eine interkommunale Kooperation nur dann aufzuzwingen, wenn diese Bestimmung ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist und dies auch erst nach Konsultation der betroffenen Gemeinden;

x.      den Beitritt einer Gemeinde zu einem spezifischen Kooperationsorgan (Gewerkschaft, Zusammenschluss der Gemeinden oder andere Organe) nur aus objektiven Gründen des supra-kommunalen Interesses zu verlangen, die gesetzlich vorgesehen sind, nach Konsultation der betroffenen Gemeinden;


xi.      sicherzustellen, dass die innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften für die Übertragung des Gemeinschaftsrechtes in innerstaatliches Recht, insbesondere bei Wettbewerb und öffentlicher Auftragsvergabe, mit den Regeln der kommunalen Selbstverwaltung und den Prinzipien der dezentralisierten Demokratie im Einklang stehen, zum Beispiel, indem darauf hingewiesen wird, dass die Bestimmungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten, nicht für die interkommunale Kooperation gelten, wenn diese zur Schaffung eines spezifischen öffentlichen Organs der interkommunalen Kooperation führen (Zusammenschluss/ Gemeindeverbänden oder andere);

xii.     die Möglichkeit zu erwägen, Daten zu sammeln und Statistiken über die interkommunale Kooperation auszuarbeiten, um ihre echte Bedeutung zu ermessen, sowie die Notwendigkeit oder Möglichkeit, diese zu stärken;

b. empfiehlt den Gemeinden der Mitgliedstaaten des Europarates:

i.       die vorliegende Empfehlung und den Begründungstext zur Kenntnis zu nehmen und sie effektiv umzusetzen;

ii.       konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Entwicklung eines geeigneten Rechtsrahmens zu ermöglichen und die bestehenden Möglichkeiten der interkommunalen Kooperation zu nutzen ;

iii.      die Beteiligung der Bevölkerung der Gemeinden bei der Schaffung und der Auflösung der Mechanismen und spezifischen Organe der interkommunalen Kooperation durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen; 

iv.      durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass die betroffene Bevölkerung in den Kompetenzbereichen der interkommunalen Strukturen während des gesamten Bestehens der öffentlichen oder privaten Strukturen effektiv beteiligt wird;

v.      die Vertretung und Beteiligung von Minderheiten aus den bestehenden teilnehmenden Gemeinden und den interkommunalen Strukturen zu gewährleisten;

vi.      Techniken und angemessene Verfahren für das gute Regieren und die Transparenz bei der Entscheidungsfindung und der Funktionsweise der Mechanismen und spezifischen Organismen der interkommunalen Kooperation zu entwickeln und zu nutzen, an der sie sich beteiligen;

vii.     regelmäßig die Funktionsweise und die Errungenschaften der spezifischen Mechanismen und Organe der interkommunalen Kooperation zu überprüfen, an denen sie sich beteiligen;

c. fordert das Ministerkomitee des Europarates auf:

i.       die vorliegende Empfehlung und ihren Begründungstext als Beitrag des Kongresses zur Umsetzung der Agenda von Budapest zu betrachten, die von der Konferenz der Minister für Gebietskörperschaften im Februar 2005 verabschiedet wurde;

ii.       sie an die Behörden der Mitgliedstaaten des Europarates weiterzuleiten ;

iii.      sie an den Lenkungsausschuss für Gemeinde- und Regionaldemokratie (CDLR) zur Information weiterzuleiten, damit er sie ergänzt und seine eigenen Arbeiten zu diesem Thema abschließt;

iv.      die Möglichkeit zu erwägen, die vorliegende Empfehlung als eine Empfehlung des Ministerkomitees zum vorliegenden Thema zu verabschieden oder so anzupassen, dass die Ergebnisse der CDLR-Studie aufgenommen werden;

v.      die Notwendigkeit anzuerkennen, mit Hilfe des Fachzentrums für die Gemeindereform, der zwischenstaatlichen Kooperation und des Kongresses einen besonderen technischen Beistand in den Ländern zu leisten, in denen die interkommunale Kooperation noch nicht besteht oder erst entwickelt wird, entweder zur Verbesserung des Projektmanagements und der öffentlichen Finanzen auf lokaler Ebene, als Alternative zu den Zusammenschlüssen oder der Privatisierung der öffentlichen Dienste;

d. fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarates auf, die obenstehenden Bemerkungen und Empfehlungen im Rahmen ihrer eigenen Aktivitäten bei der Gemeindedemokratie und Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten des Europarates zur Kenntnis zu nehmen.



[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 31. Mai 2007 und Annahme durch den Kongress am 1. Juni 2007, 3. Sitzung (siehe Dokument CPL(14)6REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch M. Guégan (Frankreich, L, NI), Berichterstatter).

[2] siehe Artikel 10.1 der Charta sowie den entsprechenden Absatz im erläuternden Text