Empfehlung 30 (1997)1 betreffend den Stand der Gemeindedemokratie und den Föderalismus in Russland

Der Kongress,

1. In dem Bewusstsein:

a) dass gemäss der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im folgenden Charta genannt) die kommunale Selbstverwaltung zu den Grundlagen der Demokratie gehört;

b) dass kommunale Selbstverwaltung und Föderalismus unabdingbar sind für den gegenwärtig in Russland im Gange befindlichen Dezentralisierungsprozess;

c) dass die Russische Föderation als Mitglied des Europarats die Charta unterzeichnet hat und sie gemäss der Entschliessung (193) 1996 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ratifizieren wird;

d) dass zur Verbesserung der Situation der Gemeinde- und Regionaldemokratie in Russland enorme Anstrengungen unternommen wurden und immer noch im Gange sind;

2. Erwägend:

a) den gegenwärtigen Stand der staatlichen Gesetzgebung auf dem Gebiet der Gemeindedemokratie, wie er in dem Bericht der Arbeitsgruppe des Kongresses beschrieben ist;

b) dass sowohl die Russische Föderation als auch deren Untereinheiten verantwortlich sind für die Entwicklung der Gemeindedemokratie;

3. Die Tatsache begrüssend:

a) dass die am 12. Dezember 1993 angenommene Verfassung der Russischen Föderation wesentliche Garantien für die kommunale Selbstverwaltung enthält;

b) dass diese verfassungsmässigen Garantien mit den in der Charta enthaltenen Grundsätzen übereinstimmen;

c) dass das am 1. September 1995 angenommene Gesetz betreffend die allgemeinen Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung, als die wichtigste gesetzliche Grundlage für die kommunale Selbstverwaltung, mit den in der Charta enthaltenen Grundsätzen übereinstimmt;

d) dass die Bestimmungen der russischen Verfassung im allgemeinen vor dem Verfassungsgericht der Russischen Föderation, wo sie in einigen Urteilen eine klare Interpretation erfahren haben, einklagbar sind;

e) dass die Bestimmungen betreffend die kommunale Selbstverwaltung in einigen Untereinheiten der russischen Föderation bereits erfolgreich umgesetzt worden sind;

f) dass gewisse Verbände russischer Städte und Gemeinden in den letzten Jahren eine aktive Rolle gespielt haben; ihre Anstrengungen verdienen Ermutigung;

4. Stellt jedoch bedauernd fest :

a) dass die Charta der kommunalen Selbstverwaltung mehr als ein Jahr nach Russlands Beitritt zum Europarat noch nicht ratifiziert und die Gesetzgebung der russischen Föderation wie auch diejenige ihrer Untereinheiten inbezug auf die kommunale Selbstverwaltung noch nicht vervollständigt worden ist;

b) dass es Fälle von schwerer Verletzung der Verfassung der russischen Föderation sowie des Bundesgesetzes über Selbstverwaltung durch einige Untereinheiten der Föderation gegeben hat;

c) dass gewisse Untereinheiten der Föderation noch immer weder die für die Umsetzung des Bundesgesetzes nötigen flankierenden Gesetze noch die Prinzipien der Charta angenommen haben;

d) dass gewisse Untereinheiten der Föderation einschränkende Bestimmungen hinsichtlich der Definition der Träger des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung angenommen haben;

e) dass die Gemeinden nicht über die benötigten Finanzmittel verfügen und deshalb abhängig sind von Zuwendungen vonseiten staatlicher Stellen;

f) dass es an gut ausgebildetem Gemeindepersonal fehlt, da die Ausbildungsmöglichkeiten für Gemeindepersonal weder leistungsfähig noch koordiniert sind;

g) dass die russische Justiz unter erheblichen Behinderungen leidet, die sich negativ auf die Durchsetzung der kommunalen Selbtsverwaltung auswirken;

5. Empfiehlt den Behörden der Russischen Föderation:

a) die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung so bald wie möglich zu ratifizieren;

b) den Anwendungsbereich der Charta so extensiv wie möglich zu definieren, um sicherzustellen, dass sie nicht nur auf Städte und Stadtgemeinden, sondern auch auf ländliche Bezirke (Rajony) angewendet wird;

c) den Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung zu unterstützen und Russlands Beitritt hierzu ins Auge zu fassen, was sich auch verbessernd auf die kommunale Selbstverwaltung auswirken würde;

d) unter Berücksichtigung der Meinung der kommunalen Gebietskörperschaften und ihrer Verbände noch fehlende Gesetze hinsichtlich sämtlicher Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung nun anzunehmen, vor allem den Abschluss eines Steuerkodex, das Bundesgesetz über die Finanzmittel der kommunalen Selbstverwaltungen sowie das Gesetz über die Grundlagen der staatlichen Organisation der Untereinheiten der Föderation, worin festgelegt wird, dass die Verwaltung auf der Stufe der Städte und ländlichen Bezirke (Rajony) in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta in den Händen von Selbstverwaltungsgremien und nicht in denjenigen zentralstaatlicher Verwaltungsbehörden liegt;

e) die Notwendigkeit zu prüfen, in das Bundesgesetz über die Organisation der staatlichen Machtbefugnis in den Untereinheiten der Föderation eine Bestimmung einzufügen, welche von den Untereinheiten der Föderation die Schaffung von deren gesamtes Territorium einschliesslich seiner ländlichen Teile bedeckenden kommunalen Körperschaften verlangt;

f) Mustergesetze für die Untereinheiten der russischen Föderation zu entwerfen, worin, auf Wunsch mit Unterstützung durch den Europarat, die unterschiedlichen Aspekte und strukturellen Varianten der Selbstverwaltung innerhalb der Föderation berücksichtigt werden;

g) ausserdem eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes über das Verfassungsgericht zu erwägen, wonach es den kommunalen Gebietskörperschaften selbst gestattet wäre, an das Verfassungsgericht zu gelangen, sodass die Respektierung der Urteile des Verfassungsgerichtes in der gesamten russischen Föderation gewährleistet und die Konformität der Gesetzgebung der Untereinheiten der Föderation mit dem Bundesgesetz sichergestellt ist;

6. Empfiehlt den Untereinheiten der Russischen Föderation:

a) den Entwurf einer Rechtsgrundlage für die kommunale Selbstverwaltung weiter voranzutreiben und, wo nötig, ihre Gesetze dahingehend zu ändern, dass deren Konformität mit dem Bundesgesetz sowie mit den Grundsätzen der Europäischen Charta der kommunalen Selnbstverwaltung gewährleistet ist;

b) in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz Selbstverwaltungsorgane, auch auf der Ebene der Städte und der ländlichen Bezirke (Rajony), ins Leben zu rufen;

c) die Gemeinden mit den für die tatsächliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen finanziellen und technischen Mittel zu versehen;

d) dafür zu sorgen, dass hinreichende und gut koordinierte Ausbildungseinrichtungen für das Gemeindepersonal zur Verfügung gestellt werden;

e) dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung hinreichend über die Gemeindebelange orientiert ist, wie dies die Lokaldemokratie erfordert;

7. Empfiehlt dem Ministerkomitee:

sich auf das gemeinsame Programm der Europäischen Union und des Europarats für Russland, RUS-2, insbesondere mit folgenden Massnahmen zu konzentrieren:

i. Bildung einer Expertengruppe, die systematische Information für Berichte über Gesetzentwürfe unter Berücksichtigung der Chartagrundsätze liefert und den Institutionen der Russischen Föderation, ihtrn Untereinheiten sowie den kommunalen Gebietskörperschaften und deren Verbänden mit Rat zur Verfügung steht;

ii. Gewährleistung, dass Zentren in den verschiedenen geographischen Gebieten Russlands verantwortlich sind für den Austausch und die Verbreitung von Information über die Gesetze betreffend die kommunale Selbstverwaltung sowie über die Aktivitäten der verfassungsrechtlichen und administrativen Kontrollmechanismen;

iii. Ausbildung von Personal (gewählte Beamte der kommunalen Gebietskörperschaften, Angestellte der kommunalen Gebietskörperschaften, mit kommunaler Selbstverwaltung befasste Beamte der Föderation und ihrer Untereinheiten) zu unterstützen und den russischen Behörden Hilfe zu bieten bei der Festlegung einer Ausbildungsstrategie für Gemeinde- bzw. Regionalpersonal und gewählte Abgeordnete, einschliesslich der Schaffung regionaler Ausbildungszentren mit Unterstützung des ENTO (Europäisches Netz von Ausbildungsorganisationen für Gemeinden und Regionen);

iv. Gründung einer ständigen Einheit in Russland mit der Aufgabe, für die Dauer der Reformen Informationen und Rat zur Gemeinde- und Regionalverwaltung zu bieten, insbesondere unter Berücksichtigung der in der russischen Föderation vorfindlichen Varianten der kommunalen Selbstverwaltung.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 3. Juni 1997, 1. Sitzung (s. Doc. CG (4) 4, Empfehlungsentwurf, vorgelegt von Herrn Alexander TCHERNOFF, Berichterstatter)