Empfehlung 18 (1996)1 über die durch den Kongress zu befolgenden Grundsätze bei der Erarbeitung von Berichten über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedländern des Europarats und den sich um eine Mitgliedschaft bei diesem bewerbenden Ländern

Der Kongreß,

1. Überzeugt:

- daß die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften eines der Fundamente jedes demokratischen Staats sind und daß deren Selbstverwaltung nicht nur geschützt, sondern auch entwickelt werden müsse;

- daß eine der wesentlichen Garantien der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Respektierung der Rechte und Freiheiten der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften liegt;

- daß sich das Recht der Bürger, sich an der Führung der öffentlichen Geschäfte zu beteiligen, getreu dem Subsidiaritätsprinzip, am unmittelbarsten auf der kommunalen Ebene ausüben läßt;

- daß eine wirksame kommunale und regionale Demokratie beiträgt zur demokratischen Sicherheit, so wie diese am Wiener Gipfel definiert worden ist für den Aufbau eines vereinten, auf dem Vorrang des Rechts gegründeten Europa;

2. Eingedenk der anläßlich des Europarats-Gipfels von 1993 angenommenen Erklärung von Wien, die:

- den Willen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedländer bekräftigt hat, die notwendigen Reformen der Organisation in die Hand zu nehmen und dabei die Sorgen der für die demokratische Artikulation der Völker als wesentlich erkannten kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften zu berücksichtigen;

- indem sie das Prinzip der Schaffung eines sowohl die kommunalen als auch die regionalen Gebietskörperschaften Europas authentisch vertretenden Konsultativorgans guthiess, die Schaffung des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas ermöglichte, der befugt ist, innerhalb des Rates den Standpunkt der Gebietskörperschaften zu den sie betreffenden Fragen zum Ausdruck zu bringen;

3. In Erwägung, daß es zur Förderung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in Europa nicht genügt, Vorschläge zu formulieren, sondern daß es unerläßlich ist, zu prüfen, wie sich diese Selbstverwaltungen innerhalb der Staaten tatsächlich entwickeln;

4. Berücksichtigend:

a) die am 10. November 1994 anläßlich seiner 95. Tagung angenommene Erklärung des Ministerkomitees betreffend die Respektierung der durch die Mitgliedstaaten des Europarats eingegangenen Verpflichtungen, welche die Stärkung der demokratischen Sicherheit in Europa, so wie sie der Gipfel von Wien unterstrich, bezweckt;

b) die am 20. April 1995 anläßlich der 535. Zusammenkunft der Delegierten der Minister angenommenen Modalitäten der Umsetzung der oben erwähnten Erklärung, worin die Ausarbeitung durch den Generalsekretär eines Fakten-Überblicks betreffend die durch die Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen befürwortet wird, der sich stützt auf Informationen aus den Mitgliedstaaten sowie auf jede einschlägige Information entsprechend den Bestimmungen von Paragraph 1 der Erklärung;

c) der die Richtlinie 488 (1993) und die Entschliessung 1031 (1994) ersetzenden Richtlinie 508 (1995) der Parlamentarischen Versammlung betreffend die Respektierung der durch die Mitgliedstaaten des Europarats eingegangenen Verbindlichkeiten und Verpflichtungen;

5. Berücksichtigend gewisse Punkte, die anläßlich der am 17. und 18. April 1996 durch den Vorsitz des Ministerkomitees in Zusammenarbeit mit dem KGRE organisierten Konferenz zur Feier des 10. Jahrestages der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung aufgebracht wurden und aufzeigten:

a) den erwiesenen Willen der europäischen Staaten, sich darauf zu beziehen beim Aufbau einer echten Lokaldemokratie, die den Bedürfnissen der europäischen Bürger sowie ihrer Sorge um deren tatsächliche Realisierung entspricht;

b) daß die Charta, parallel zur Europäischen Menschenrechtskonvention für die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Personen, zur Zeit der einzige europäische Rechtstext von zwingender Tragweite ist, der die Rechte und Freiheiten der Gebietskörperschaften in Europa festlegt;

c) daß die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung einer der grundlegenden Texte des Europarats ist, zum gemeinsamen Besitz seiner Mitgliedstaaten gehört und daher zur Zeit hinsichtlich der Einhaltung der durch sie im Bereich der Lokaldemokratie eingegangenen Verpflichtungen das einzige rechtliche Bezugsdokument ist;

6. Ruft in Erinnerung, daß

- die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung die Übersetzung des demokratischen Prinzips ins Rechtswesen darstellt, dank deren das Ausmass an Selbstverwaltung, das die Gemeinden und Regionen geniessen, als der Eckstein einer echten Demokratie gelten kann;

- die Parlamentarische Versammlung die Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung zu den für einen Beitritt zum Europarat notwendigen offiziellen Verpflichtungen zählt;

- die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung europäische Bezugsnormen für die Einrichtung demokratischer Selbstverwaltungssysteme in den neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas beigesteuert hat, und daß die Organisation der Vereinten Nationen zur Zeit eine von der Charta angeregte Erklärung über die kommunale Selbstverwaltung ausarbeitet;

7. In Anbetracht dessen, daß der Kongreß mit dem Einverständnis der Minister durch eine in seinen Reihen konstituierte, von einer unabhängigen Gruppe von Fachleuten unterstützte Arbeitsgruppe die Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung weiterverfolgt;

8. In Anbetracht der positiven Ergebnisse

- seines Amtierens im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der Berichte über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedstaaten, vor allem auch des Berichts über die kommunale und regionale Demokratie in Rumänien, der ein höchst positives Beispiel für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Organen des Europarats und seinen Mitgliedstaaten darstellt;

- im Rahmen der Berichtserstellung über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie: von seiner Beobachtertätigkeit bei den kommunalen und/oder regionalen Wahlen in den Staaten, die sich in jener Zeitspanne um einen Beitritt bewarben (Albanien, [Kroatien]2 ehemals jugoslawische Republik Mazedonien, Moldawien, Russische Föderation, Ukraine);

- des offenen und konstruktiven Dialogs, den er mit den Behörden Litauens, des Vereinigten Königreichs und der Türkei über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in jenen Ländern führte;

9. Erinnert daran, dass der Kongress, entsprechend dem ihm in der Statutarischen Entschliessung (94)3 erteilten Mandat, und insbesondere aufgrund des Artikels 2, Abschnitt 1, littera b. dieser Entschliessung, die Absicht hat, sei es aus eigener Initiative, sei es auf Ersuchen der nationalen oder internationalen Gemeinde- und Regionalverbände, Berichte über den Stand der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedländern und den sich um eine Mitgliedschaft bewerbenden Ländern sowie auch Berichte über die Kommunal- und Regionalwahlen in letzteren auszuarbeiten3;

10. Bittet die Parlamentarische Versammlung und das Ministerkomitee, die Empfehlungen und Beobachtungen, welche die unter Abschnitt 9), oben, erwähnten Berichte möglicherweise enthalten, zu berücksichtigen;

11. Lädt ausserdem das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung ein, die folgenden Überlegungen und Vorschläge zu berücksichtigen:

a) In Erwägung, dass es das erste Ziel des Europarats ist, die europäischen Staaten rund um die Prinzipien der Menschenrechte und der pluralistischen Demokratie zu vereinen, und dass letztere erst dann als wirklich erreicht gelten kann, wenn den demokratischen Institutionen auf kommunaler und regionaler Ebene eine echte Autonomie gegenüber den Institutionen der parlamentarischen Demokratie zuerkannt ist;

b) In Erwägung, dass zum 50. Jahrestag des Europarats im Jahre 1999 beinahe alle europäischen Staaten Mitglieder sein werden, und dass die Hervorhebung des Symbolwertes dieses Jahrestages durch die Annahme eines feierlichen Dokuments wünschenswert wäre, worin in einer Art von Rechtsanthologie die wichtigsten Grundsätze enthalten sind, welche der Europarat im Laufe seines fünfzigjährigen Bestehens aufgestellt und bekräftigt hat;

c) Schlägt vor, dass das Ministerkomitee, gemeinsam mit der Parlamentarischen Versammlung und dem Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, somit eine "Magna Carta des Europarats über die Regeln der Demokratie und die Rechte der europäischen Bürger" ausarbeitet, worin die grundlegenden Rechtsinstrumente Eingang finden, die im Rahmen des Europarats angenommen worden sind, insbesondere:

- die Europäische Menschenrechtskonvention;

- die Sozialcharta;

- die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung;

- das Rahmenübereinkommen über den Schutz nationaler Minderheiten;

- die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen;

d) Schlägt vor, dass diese "Magna Carta" vom Beginn des nächsten Jahrtausends an wichtigstes Bezugsdokument für die Aktivitäten des Europarats zugunsten der Einhaltung der durch die Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen werden könnte.

 

1 Diskussion und Annahme durch den Kongreß am 4. Juli 1996, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (3) 3, Empfehlungsentwurf vorgelegt von Herren A. Tchernoff und A. Chenard, Berichterstatter)

2 NB Kroatien ist bisher noch nicht Mitglied des Europarats.

3 Die Erstellung dieser Berichte berücksichtigt auch die befürwortende Stellungnahme, welche die Delegierten der Minister anlässlich ihrer 526. Zusammenkunft abgaben und die dem Kongress mit Brief vom 26. Januar 1996 übermittelt wurde.