Entschliessung 146 (2002)1 betreffend den Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung
Der Kongress,
1. Gestützt auf:
a. seine Empfehlung 34 (97) betreffend den Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung, die er am 5. Juni 1997 angenommen hat;
b. die Empfehlung 1349 (1997) der Parlamentarischen Versammlung vom 7. November 1997, worin diese ihre Unterstützung der Charta bekundet;
c. den Bericht seines Berichterstatters, Herrn Peter Rabe (Deutschland), vom 3. April 2002 über den gegenwärtigen Stand der Diskussion betreffend den Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung;
2. Begrüsst die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union vom 13. Dezember 2000, welche den Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung in der Form eines Übereinkommens unterstützt;
3. Berücksichtigt die Erklärung der Präsidenten der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnis vom 16. Oktober 2001 betreffend die Zukunft des Föderalismus im erweiterten Europa;
4. Betont:
a. dass die durch die Mitgliedstaaten ergriffenen Massnahmen zur Weiterentwicklung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung sich insbesondere auf die Initiativen des Europarats und der Europäischen Union zur Festigung des Subsidiaritätsprinzips stützen und dass sich dabei auf die im Vertrag von Maastricht, 1992, befürwortete Förderung des Subsidiaritätsprinzips bezogen werden kann;
b. dass die Grundprinzipien Flexibilität, Leistung, Transparenz und Verantwortung in der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben sowie die Notwendigkeit der Bürgernähe bei der konkreten Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsebenen bei der zukünftigen Gestaltung der europäischen Integration als übergreifende Leitprinzipien gewählt werden sollten;
c. dass die Entwicklung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung seit 1997 grosse Fortschritte gemacht hat, begrüsst insbesondere die inzwischen erfolgten Beitritte zur und Ratifikationen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung;
d. dass hinsichtlich der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und Zuständigkeiten unter den Rahmenbedingungen der gesamteuropäischen Integration eine vermehrte Aufteilung der Aufgaben zwischen der zentralstaatlichen, der regionalen und der kommunalen Ebene eingetreten ist, die vor allem die Bedeutung der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften gestärkt hat;
e. dass sich deshalb in fast allen Mitgliedstaaten des Europarats Fortschritte hinsichtlich der Stärkung der regionalen Selbstverwaltungsorgane ergeben haben, die wiederum zu einer vermehrten Beteiligung der regionalen Entscheidungsgremien an nationalen und europäischen Entscheidungsprozessen führen;
f. dass diese Fortschritte in unterschiedlicher Weise, oft aber sowohl auf der Ebene des Verfassungs- als auch auf derjenigen des kodifizierten Rechts, in nationales Recht verwandelt worden sind;
g. dass die Entwicklung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltungsstrukturen zugleich die Beteiligung des Publikums an den Prozessen demokratischer Meinungsbildung anregt und damit zur Stärkung der demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen beiträgt;
5. Unterstreicht:
a. dass der Europarat durch das regelmässige Monitoring der Fortschrittte der Gemeinde- und Regionaldemokratie in seinen nun 44 Mitgliedstaaten einen beachtlichen Beitrag zur Analyse und Evaluation der praktischen und rechtlichen Fortschritte im Bereich der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung leistet;
b. dass der Europarat daher besonders gut in der Lage ist, diese seine Erfahrung mit kommunaler und regionaler Selbstverwaltung in generell anwendbare Prinzipien, Leitlinien und Bestimmungen zu übersetzen, die mit den Interessen aller Mitgliedstaaten vereinbar sind und doch die besonderen nationalen Interessen schützen;
c. dass es in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, in naher Zukunft rechtlich bindende Grundprinzipien für die Organisation der regionalen Selbstverwaltung zu schaffen, die einerseits die allgemeinen Vorteile dieses Systems spiegeln und andererseits die Flexibilität gewährleisten, welche ihre Anpassung an nationale Besonderheiten ermöglicht;
6. Stimmt diesbezüglich dem Vorschlag des Ministerkomitees zu, den Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung des Kongresses in Anbetracht seiner Auswirkungen auf die Zukunft der regionalen Selbstverwaltung in Europa einer vertieften Prüfung zu unterziehen;
7. Anerkennt im besonderen die spezielle Bedeutung der Arbeit, welche der CDLR von 1998 bis Dezember 2001 auf die Prüfung des Entwurfs der europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung verwendete und die zu folgenden wichtigen Ergebnissen geführt hat:
a. zu einer klaren Definition aller in den Mitgliedstaaten des Europarats vorfindlichen Formen regionaler Selbstverwaltung, woraufhin sich diese in insgesamt 6 typische Modelle unterteilen liessen;
b. zur Ausarbeitung der tragenden Konzepte für ein Rechtsdokument; diese bilden insgesamt 16 "Bausteine";
c. der Einteilung der Staaten, je nach dem Typ ihrer regionalen Selbstverwaltung, nach den oben erwähnten 6 Modellen, wodurch ein klares Bild vom praktischen Funktionieren, von der rechtlichen Beschaffenheit, vom Umfang, von der Tragweite und den Auswirkungen der regionalen Selbstverwaltungen entsteht;
8. Begrüsst die Beschlüsse des Ministerkomitees vom 6. März 2002, worin die Notwendigkeit eines politischen Beschlusses hervorgehoben wird, den die im Juni 2002 stattfindende Europäische Konferenz der für kommunale und regionale Gebietskörperschaften zuständigen Minister fassen soll;
9. Ist hinsichtlich der durch den CDLR und das Ministerkomitee durchgeführten Arbeiten der Meinung:
a. dass insbesondere die Modelle 1 bis 4 wichtig sind für die zukünftige Entwicklung der regionalen Selbstverwaltung in Europa;
b. dass allein schon die Verschiedenartigkeit der nationalen Formen regionaler Selbstverwaltung nach einem diesbezüglichen Rechtsdokument ruft, das flexibel in der Umsetzung ist;
c. dass die Kernkonzepte eines Rechtsdokuments für die regionale Selbstverwaltung, wie in dem Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung von 1997 vorgeschlagen, weitestgehend mit den durch den CDLR herausgearbeiteten Kernkonzepten für die regionale Selbstverwaltung übereinstimmen müssen;
10. Ist jedoch der Überzeugung:
a. dass die Annahme des Entwurfs einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung in Form eines Übereinkommens der in der Entschliessung 8 (1994) des Kongresses geäusserten Forderung entsprechen würde, eine Charta der regionalen Selbstverwaltung auszuarbeiten nach dem Vorbild der Europäischen Charta der kommunalen Selsbtverwaltung, die ihrerseits in der rechtlichen Form eines Übereinkommens angenommen worden war;
b. dass diese Rechtsform den Staaten völlige Freiheit lässt, das Übereinkommen zu unterzeichnen und zu ratifizieren oder, in Berücksichtigung ihrer Regionalstrukturen, eine nationale Regelung ausserhalb eines europäischen rechtlichen Rahmens vorzuziehen;
c. dass die Rechtsform eines Übereinkommens allerdings die nötige rechtliche Flexibilität bietet, den nationalen Besonderheiten auch innerhalb eines einheitlichen europäischen Rahmens Rechnung zu tragen, wie dies auch durch die Möglichkeit bezeugt ist, hinsichtlich gewisser Bestimmungen eines Übereinkommens eigene Vorbehalte anzubringen;
d. dass dagegen eine Empfehlung des Europarats, die einstimmig angenommen werden muss, zu einem Einvernehmen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führen würde, was der Dynamik des Regionalisierungsprozesses in Europa nicht angepasst wäre;
11. Hält es unter diesen Umständen für notwendig, dass die Mitgliedstaaten des Europarats die Bedeutung der wesentlichen Elemente der regionalen Selbstverwaltung, gestützt auf den durch den Kongress 1997 angenommenen Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung, klar anerkennen; folglich:
a. hält seine Empfehlung Nr. 34 vom 5. Juni 1997 hinsichtlich der zukünftigen Annahme des Entwurfs der Charta in der Form eines Übereinkommens aufrecht;
b. hält es für machbar, dass der Europarat im Lichte der inzwischen voll zur Verfügung stehenden Informationen noch vor der nächsten Tagung des Kongresses im Jahre 2003 zu einer endgültigen Stellungnahme gelangt;
12. Fordert deshalb alle Mitglieder des Kongresses auf, vor der nächsten Ministerkonferenz am 27. und 28. Juni 2002 in Helsinki:
a. die für kommunale und regionale Angelegenheiten zuständigen Minister ihrer Staaten von dem im Kongress einstimmig geäusserten und von der Parlamentarischen Versammlung unterstützten Wunsch in Kenntnis zu setzen, dass der Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung in Form eines Übereinkommens des Europarats angenommen werde und sie aufzufordern, in diesem Sinne Stellung zu beziehen, wenn sie ihr Land an der Konferenz vertreten;
b. die in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Einsitz habenden Vertreter ihres nationalen Parlaments von diesem Standpunkt des Kongresses zu unterrichten und ihre Unterstützung zu erbitten;
13. Beauftragt seinen Präsidenten:
a. die vorliegende Entschliessung dem Präsidenten der in Helsinki am 27. und 28. Juni 2002 stattfindenden 13. Konferenz der für die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften verantwortlichen europäischen Minister zu übermitteln, sodass sie als Beitrag des Kongresses zu der Konferenz an die eingeladenen Delegationen verteilt wird;
b. den Standpunkt des Kongresses im Rahmen seiner Mitwirkung an der Ministerkonferenz zu verteidigen;
c. die Parlamentarische Versammlung des Europarats vor der Konferenz über den Standpunkt des Kongresses zu informieren und ihre Unterstützung zu zu erbitten;
d. den Kongress an seiner Minitagung im Herbst 2002 über die Ergebnisse der Ministerkonferenz und deren Folgen für die Zukunft des Entwurfs der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung zu unterrichten.
1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 5. Juni 2002 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss am 6. Juni 2002 (siehe Dok. CPR (9) 6, Entschliessungsentwurf vorgelegt durch Herrn P. Rabe, Berichterstatter)