Empfehlung 85 (2000)1 betreffend demokratische Stabilität durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa

Der Kongress,

Mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Regionen,

1. Hat den Bericht von Herrn Coifan (Kammer der Regionen) mit den Ergebnissen der vom 28. bis 30. Oktober 1999 durchgeführten 7. Europäischen Konferenz der Grenzregionen zur Kenntnis genommen;

2. Stellt mit Befriedigung die positive Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit seit der in Ljubljana (Slowenien) 1995 stattgefundenen 6. Konferenz fest, insbesondere:

. das Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften oder -behörden im Dezember 1998;

. die 1998 erfolgte Annahme des Protokolls Nr. 2 betreffend die interterritoriale Zusammenarbeit zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften oder -behörden;

. die Einbeziehung der Dimension der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas, dessen rasche Annahme durch das Ministerkomitee des Europarats zu wünschen ist, sowie die laufenden Arbeiten für die Annahme der Europäischen Charta der Berggebiete;

3. Erinnert an die grundlegende Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für den Aufbau Europas und für die Schaffung eines Vertrauensklimas durch Toleranz, Verständnis, Solidarität und gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den Bevölkerungen, vor allem auch in jenen Grenzgebieten, wo Minderheiten leben;

4. Stellt indes das Fortbestehen rechtlicher und administrativer Hindernisse fest, die dazu angetan sind, den Personen- und Warenverkehr und die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu behindern, was vor allem in Gebieten mit international nicht anerkannten Demarkationslinien der Fall ist;

5. Unterstreicht die wesentliche Rolle, die der Europarat dank seiner grundlegenden Ziele - Demokratie, Achtung der Menschenrechte, kommunale und regionale Selbstverwaltung - sowie kraft seiner technischen und juristischen Arbeiten und seiner regelmässig durch die Parlamentarische Versammlung und den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas organisierten europäischen Konferenzen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf gesamteuropäischer Ebene innehat;

6. Erinnert vor allem an die im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas gesammelten Erfahrungen, die ihren Niederschlag insbesondere in dem Fachwissen finden, das den kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften beim Aufbau nachhaltiger Strukturen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit geboten werden kann, und deren volle Nutzung bei der Umsetzung des zwischenstaatlichen Tätigkeitsprogramms sich empfiehlt;

7. Begrüsst die Zusammenarbeit zwischen dem Kongress der Gemeinden und Regionen Europas und der Parlamentarischen Versammlung, wie sie sich in der gemeinsamen Durchführung der 7. Konferenz der Grenzregionen spiegelt;

8. Begrüsst die neue Erweiterung des zwischenstaatlichen Tätigkeitsprogramms des Europarats im Hinblick auf die Förderung der interterritorialen Zusammenarbeit in Europa;

9. Nimmt mit Interesse Kenntnis von der seit 1995 durch den Beratenden Ausschuss des Europarats für die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der zentral- und osteuropäischen Länder entfalteten Tätigkeit und von dem Beitrag dieses Ausschusses zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit;

10. Bedenkt die wesentliche Rolle der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für die Förderung und Festigung der Gemeinde- und Regionaldemorkratie, für die Verwirklichung der Dezenralisation und für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips;

11. Erinnert an die helfende und beratende Rolle der Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen (AGEG) und der Versammlung der Regionen Europas bei der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, vor allem in den Regionen Zentral- oder Osteuropas;

12. Unterstreicht die Bedeutung der von der Europäischen Union zur Unterstützung interregionaler und transnationaler grenzüberschreitender Vorhaben entwickelten Programme (Phare, Tacis, Interreg, MED);

13. Ist der Ansicht, dass die grenzüberschreitende und interterritoriale Zusammenarbeit ein wesentliches Element des Stabilitätspakts für Südosteuropa darstellt, denn, wie die Staats- und Regierungschefs des Europarats an ihrem Wiener Gipfeltreffen 1993 erklärten , braucht ein tolerantes und prosperierendes Europa auch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gemeinden und Regionen, ;

I Beschliesst, den Überlegungen und Empfehlungen zuzustimmen, wie sie in der am 30. Oktober 1999 einstimmig angenommenen und im Anhang zu der vorliegenden Empfehlung figurierenden Schlusserklärung wiedergegeben sind;

II Empfiehlt den nationalen Behörden:

14. In ihren nationalen Politiken und Verwaltungsakten den in der Schlusserklärung der 7. Konferenz ausgesprochenen Empfehlungen Rechnung zu tragen;

15. Die europäischen Rechtsvorschriften durch Verbesserungen im innerstaatlichen Recht bezüglich grenzüberschreitender Zusammenarbeit und durch bi- und multilaterale Übereinkommen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene zu ergänzen;

16. Das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften oder -behörden mit seinen Protokollen wie auch die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen zu unterzeichnen und/oder zu ratifizieren;

17. Vertikale und horizontale Partnerschaften zwischen nationalen, regionalen und kommunalen Behörden ins Leben zu rufen im Hinblick auf eine konzertierte Strategie für die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach den Grundsätzen der Subsidiarität;

18. Vor allem die Vertreter der nationalen Behörden einzubinden in die mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den zentral- und osteuropäischen Regionen und denjenigen der Gemeinschaft unabhängiger Staaten befassten Institutionen und Arbeiten, damit den kommunalen, regionalen und nationalen Rechtssystemen Rechnung getragen wird;

19. Die rechtlichen und administrativen Hindernisse, vor allem im Bereich der Visa, welche die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im allgemeinen noch behindern, zu beseitigen und das Europäische Übereinkommen über die Regelung des Personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats von 1957 zu ratifizieren;

20. Angesichts der Intensivierung der grenzüberschreitenden sozio-ökonomischen Aktivitäten im erweiterten Europa neue Übergangsstellen an den Grenzen zu schaffen und die für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zuständigen nationalen und territorialen Verwaltungen mit dem für die Bewältigung der wachsenden Bedürfnisse notwendigen Personal auszustatten;

21. In ihren Plänen zur Regionalentwicklung den Problemen der Grenzregionen besondere Aufmerksamkeit zu widmen und letztere bei der Verteilung der Mittel und Invesitionen vor allem für die infrastrukturelle, sozio-kulturelle und kommerzielle Ausstattung bevorzugt zu behandeln;

22. Die Dezentralisation zu fördern und die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften mit echten eigenen Kompetenzen auszustatten, die sie entsprechend dem Subsidiariätsprinzip sowie den in den Zusatzprotokollen zu dem Rahmenübereinkommen enthaltenen Bestimmungen auf grenzübergreifender Ebene ausüben können;

23. Mithilfe angemessener finanzieller Mittel den Unterricht der Nachbarsprachen zu fördern;

24. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als ein Instrument wirtschaftlicher Entwicklung und der Vernetzung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, Industrie- und Handelskammern, Universitäten, Nichtregierungsorganisationen und Repräsentanten der Zivilgesellschaft zu fördern;

25. Den Aufbau von Strukturen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit anzuregen durch die Finanzierung von Ausbildungsprogrammen für kommunale Rats- und Verwaltungsmitglieder sowie durch den Austausch von Fachleuten;

26. Regelmässige Begegnungen, vor allem in Zentral- und Osteuropa, zwischen den Vertretern der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit speziell auf legislativem und juristischem Gebiet anzuregen;

27. Gestützt auf die europäischen Erfahrungen beim Aufbau von Netzen und Strukturen für gutnachbarliche Zusammenarbeit, vor allem auch in Zentral- und Osteuropa die Bildung von Euroregionen anzuregen und zu erleichtern;

28. Die Schwierigkeiten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb von durch Landesgrenzen zerschnittenen Städten zu berücksichtigen und der Überwindung der eingeschränkten Bewegungsfreiheit in solchen einstmals einheitlichen Städten besondere Aufmerksamkeit und Hilfsanstrengungen zu widmen;

III Empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarats:

29. Aktionen der Zusammenarbeit zu fördern in solchen europäischen Grenzgebieten, wo sich ernsthafte Probleme stellen und in diesem Zusammenhang ein besonderes Augenmerk auf die Länder im Kaukasusgebiet und in Südosteuropa zu richten;

30. Die Europäische Konferenz der Raumordnungsminister aufzufordern, in den zur Vorlage anlässlich ihrer nächsten Zusammenkunft im September 2000 in Hannover vorgesehenen Leitprinzipien der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mehr Gewicht zu verleihen und dem Einfluss der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf die Verwirklichung einer grenzübergreifenden Raumordnungs- und nachhaltigen Entwicklungspolitik Rechnung zu tragen, welche - vor allem auf den Gebieten Verkehrswesen und Infrastruktur, grenzübergreifende Arbeitsmärkte, gemeinsame Strategien für Tourismus, kulturelle Entwicklung, Unterricht sowie Schutz des natürlichen und kulturellen Erbes - die Schaffung gemeinsamer sektorieller Vorhaben unterstützt;

31. Den Generalsekretär zu veranlassen, im Rahmen des Stabilitätspakts Verhandlungen einzuleiten für die Ausarbeitung eines multilateralen Übereinkommens der südosteuropäischen Länder für eine grenzüberschreitende und interterritoriale Zusammenarbeit ihrer lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, denn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sollte in den Ländern Südosteuropas mit Vorteil multilateral angegangen werden;

32. Seinen Unterausschuss von Experten für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (LR-R-CT) zu einer Bestandesaufnahme der Umsetzungen des Europäischen Rahmenübereinkommens für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften oder -behörden zwanzig Jahre nach dessen Annahme und zur Durchführung einer Konferenz über die sich dabei ergebenden Befunde anzuregen;

33. Das zwischenstaatliche Arbeitsprogramm hinsichtlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit stärker zu aktivieren und dafür zu sorgen, dass die Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in alle Bereiche dieses Programms integriert werden, sodass diese auf allen Stufen der einbezogenen Sektoren gefördert wird;

34. Grenzübergreifende Projekte für die Förderung und Stärkung von Toleranz, Solidarität, Vertrauen, Verständnis und gutnachbarschaftlichen Beziehungen mithilfe seines Programms von vertrauensbildenden Massnahmen oder durch Unterstützung der Agenturen der Gemeindedemokratie zu stützen;

35. Mithilfe des zwischenstaatlichen Arbeitsprogramms vor allem in den Ländern des Kaukasus und Südosteuropas die Schaffung von Euroregionen als die demokratische Stabilität festigender Strukturen für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern und zu diesem Zweck für die Übersetzung der grundlegenden Texte des Europarats über grenzüberschreitende Zusammenarbeit in die verschiedenen Landessprachen zu sorgen, wofür die vom Europarat zur Verfügung gestellten Finanzmittel, notfalls durch freiwillige Beiträge, erhöht werden müssen;

36. Seinen Unterausschuss von Experten für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (LR-R-CT) mit der Aufnahme einer Untersuchung der besonderen Probleme von durch Landesgrenzen durchgeschnittenen Städten und der Ausarbeitung von Massnahmen zu beauftragen, durch welche die Auswirkungen dieser Trennung auf die einstmals in einer einzigen Stadt vereinten Bewohner gemildert werden könnten;

37. Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union fortzusetzen und zu intensivieren und bei der Ausarbeitung gemeinsamer Programme die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu berücksichtigen und damit erheblich beizutragen zu Demokratie und politischer wie wirtschaftlicher Stabilität in den Ländern Zentral- und Osteuropas;

IV Fordert die Europäische Union auf:

38. Ihre die grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördernden Programme, insbesondere Interreg, Phare, Tacis und das MED-Programm, kompatibel zu gestalten, um so deren politische und wirtschaftliche Wirksamkeit zu sichern, sowie die maritimen Grenzen gebührend zu berücksichtigen;

39. Bei der Festlegung ihrer Programme der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der Verwirklichung gemeinsamer Vorhaben in Städten, deren ursprüngliche Einheit heute durch Landesgrenzen zerschnitten wird, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden;

40. Eine kohärente und flexible Politik bezüglich ihrer zukünftigen Aussengrenzen zu entwickeln, um sicherzustellen, dass ihre Erweiterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nicht schadet und in diesem Sinne mit dem Europarat zusammenzuarbeiten;

V Fordert den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union auf:

41. Die Ergebnisse der 7. Europäischen Konferenz der Grenzregionen zur Kenntnis zu nehmen und Vorschläge für die Stärkung der grenzüberschreiteenden Zusammenarbeit mit den Nichtmitgliedstaaten, vor allem den assoziierten Staaten, welche Mitglieder des Europarats sind, auszuarbeiten;

42. Empfehlungen zu unterstützen, die gerichtet sind auf die Schaffung gemeinsamer Projekte und Aktionen des Europarats, insbesondere des Kongresses, zusammen mit der Europäischen Kommission hinsichtlich der Ausstattung und Entwicklung der Gebiete entlang ihrer Aussengrenzen;

43. Die Schaffung von Euroregionen, vor allem in Zentral- und Osteuropa zu unterstützen mithilfe seines Arbeitsprogramms, mit Einzelaktionen oder durch Aufforderung der betreffenden Mitgliedstaaten zu entsprechenden Aktivitäten;

VI Fordert die OSZE auf:

44. Ihre Mitglieder aufzufordern, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als einem wichtigen Bereich der Zusammenarbeit und der Sicherheit in Europa anzuerkennen und so auf der nationalen Ebene der Staaten die Bedingungen für deren auf dauerhafte Strukturen der Zusammenarbeit gegründeten Aufbau herzustellen;

45. Den Stellenwert der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb der regionalen Strategie für Südosteuropa sicherzustellen, sie als einen Faktor der demokratischen Stabilität anzuerkennen und diesbezüglich mit dem Europarat zusammenzuarbeiten;

46. Die diversen Aspekte grenzüberschreitender Zusammenarbeit in ihr Programm der Wirtschaftsforen zu integrieren und auf diesem Gebiet mit dem Kongress der Gemeinden und Regionen Europas zusammenzuarbeiten.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 24. Mai 2000 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss am 25. Mai 2000 (siehe Dok. CPR (7) 6, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Herrn V. Coifan, Berichterstatter