Entschliessung 54 (1997)1 betreffend nachhaltige Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene

Der Kongress,

1. Mit Bezug auf den von Herrn Harman (Vereinigtes Königreich) im Namen der Arbeitsgruppe für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung vorgelegten Bericht;

2. In der Erwägung, dass nachhaltige Entwicklung zu einem Thema geworden ist, das dringend der Aufmerksamkeit nicht nur vonseiten der zentralstaatlichen Behörden, sondern auch vonseiten der Gemeinden und Regionen bedarf;

3. In der Erwägung, dass die Gemeinden und Regionen bedeutende Arbeitgeber sowie Produzenten und Käufer von Gütern und Dienstleistungen sind, womit ihnen die Möglichkeit gegeben ist, durch die Verfolgung gewisser politischer Kurse die Umwelt zu beeinflussen und somit eine wichtige Rolle im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung spielen;

4. Betonend, dass die Schaffung umweltgerechter Gesellschaften es erfordert, dass die Gemeinden und Regionen in der Lage sind, die grundlegenden menschlichen Systeme, die sie verwalten, aufrechtzuerhalten, zu verbessern und zu verändern. Wennschon internationale und nationale Strukturen und Richtlinien notwendig sind, so sind es doch letztlich die kommunalen und regionalen politischen Programme und Aktionen, welche für Nachhaltigkeit sorgen;

5. Verabschiedet die folgende Erklärung mit dem Ziel, kommunale und regionale Verwaltungen zu Initiativen anzuregen, welche die nachhaltige Entwicklung zu einem Leitziel ihrer Politik machen;

6. Ruft die Gemeinden und Regionen auf, sich die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung zu zu eigen zu machen, indem sie die kurze Erklärung unterzeichnen, welche dem vorliegenden Schriftstück beigeheftet ist.

ERKLÄRUNG
nachhaltige Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene

A. Der KGRE betont, dass die Gemeinden und Regionen wesentliche Partner für das Bewirken einer nachhaltigen Entwicklung sind.

1. Die wesentliche Bedeutung der Gemeindeverwaltung und der Strukturen auf regionaler Ebene spiegelt sich in dem Grundsatz der Subsidiaritätwonach Beschlüsse und Aktionen auf der dafür angemessenen Ebene anzusiedeln sind.

2. Die Reichweite von regionalen Strukturen kann eine Harmonisierung zwischen Staaten sowie die Einarbeitung gewisser Grundsätze in die regionale und kommunale Gesetzgebung ermöglichen.

3. Viele Probleme auf dem Gebiet von Umwelt und Gesellschaft entstehen auf lokaler Ebene, wo der Gemeinde bei der Formulierung, Umsetzung und Durchsetzung der Politiken eine entscheidende Rolle zukommt. Selbst wo es sich um Probleme handelt, die auf internationaler oder nationaler Ebene entstehen (wie etwa der Treibhauseffekt), haben Ansätze zur Problemlösung und Abhilfe ihren Ursprung oft auf kommunaler oder regionaler Ebene.

B. Der KGRE übernimmt die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung, die das Erreichen folgender Ziele umfassen sollte:

1. Das Verbleiben innerhalb der Möglichkeiten der natürlichen Umwelt bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität;

2. Das Praktizieren von sozialer Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit und zukunftsbeständigem Wirtschaften;

3. Die Einbeziehung aller Bereiche der kommunalen oder regionalen Entscheidungen in einen örtlich verankerten, gleichgewichtsorientierten, schöpferischen Prozess;

4. Das Schaffen von Bedingungen für die kommenden Generationen, die mindestens so gut sind wie unsere heutigen;

5. Die Sicherstellung, dass die Ärmsten und am stärksten Benachteiligten der Gesellschaft nicht aufgrund ihrer Armut gezwungen sind, die Erfordernisse einer umweltgerechten Entwicklung zu missachten;

6. Die Integration der Ziele der Umweltpolitik in die Sozial- und Wirtschaftspolitik, denn ein intersektorielles Vorgehen ist unabdingbar;

7. Die Sicherung der Aufrechterhaltung der Lebensvielfalt: menschliche Gesundheit wie auch Luft-, Wasser- und Bodenqualität auf einem Niveau, aufgrund dessen das Leben und Wohlergehen der Menschen wie dasjenige der Tiere und Pflanzen für alle Zeiten erhalten werden kann.

C. Der KGRE fordert die Regierungen auf, den Gemeinden und Regionen mehr Vollmachten für ein strategisches Bewirtschaften der Umwelt zu geben, sodass sie besser imstande sind, ihre nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.

D. Der KGRE ermutigt die kommunalen und regionalen Behörden, Nachhaltigkeit zu einem ihrer politischen Leitziele zu machen. Insbesondere empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

1. Zur Vorbereitung auf die "Lokale Agenda 21"-Prozesse bestärkt der KGRE die Gemeinden und Regionen,

1.1 der Europäischen Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden beizutreten, indem sie die Charta von Aalborg unterzeichnen und sich an solchen kommunalen und regionalen Netzwerken beteiligen, die ihnen am besten Rat und praktische Unterstützung bieten können;

1.2 ihre sämtlichen Behörden, die gewählte Versammlung, die Verwaltung, die gewählten Funktionäre, alle Departemente und alle übrigen Kompetenzebenen in die Umsetzung der Lokalen Agenda 21 einzubeziehen;

1.3 voranzugehen und die Umsetzung der Lokalen Agenda 21 zu beschleunigen, indem sie genügend Personal sowie finanzielle und technische Mittel zur Verfügung stellen;

2. Um zu Strategien für den Einbezug der Allgemeinheit zu gelangen, empfiehlt der KGRE,

2.1 einen Konsens über eine Lokale Agenda 21 zwischen sämtlichen Sektoren des Gemeinwesens zu erzielen;

2.2 Partnerschaften für konkrete Projekte mit klaren Zielen, Arbeitsgruppen, Fachgruppen, Konsultativgruppen oder Runde Tische zu bilden;

2.3 Übereinstimmung über die Vorgehensweisen, über deren Stadien und deren Ziele zu suchen;

2.4 in Partnerschaft mit Nicht-Regierungsorganisationen, örtlichen Umweltstellen und dem Privatsektor, z.B durch die Gründung von örtlichen Komitees für nachhaltige Entwicklung, zu handeln;

3. Im Hinblick auf die Inangriffnahme und Planung einer Lokalen Agenda 21 betont der KGRE,

3.1 dass die Lokale Agenda 21 ein partizipatorischer Prozess ist, der ein systematisches Schritt für Schritt-Vorgehen, auch hinsichtlich der Zielsetzung, erfordert;

3.2 dass die Sensibilisierung und Erziehung wesentlich sind, um ein echtes Verständnis für die wechselseitige Abhängigkeit von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und umweltrelevanten Aspekten zu erreichen;

3.3 dass die Gemeinden und Regionen Programme für die Umwelterziehung in Schulen und ähnlichen Anstalten auf ihrem Territorium entwickeln sollten;

3.4 dass die Planung und Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung nach einem intersektoriellen Vorgehen ruft, bei dem sowohl umweltbezogene, als auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden;

4. Im Hinblick auf die Anbahnung von Partnerschaften und Zusammenarbeit zwischen Behörden befürwortet der KGRE

4.1 den Einbezug unterschiedlicher Ebenen von Regierung und Verwaltung in alle einschlägigen Initiativen und Programme;

4.2 die Gründung von Umweltpartnerschaften zwischen Gemeinden und Regionen in ganz Europa;

4.3 die Bereitstellung von praktischer Hilfe, Anleitung und Schulung durch kommunale und regionale Vereine, Netzwerke und Schulungszentren;

E. Im Sinne einer Verwirklichung der Ziele der Agenda 21 empfiehlt der KGRE den Gemeinden und Regionen folgende Strategien:

1. WASSERVERSORGUNG

- den Schutz und die Bewirtschaftung der Wasservorkommen zu intensivieren;

- das Auffangen, die Klärung und die Wiederverwendung der Abwässer auszubauen;

- die Verschmutzung des Grundwassers, welche Probleme der Trinkwasserversorgung hervorruft, zu reduzieren.

2. BEWIRTSCHAFTUNG FESTER ABFÄLLE

- das Produzieren von Abfällen zu vermeiden. Ziele im Sinne einer kontinuierlichen Verminderung der Arten möglichen Abfalls und dessen Umfanges aufzustellen;

- Verpackungen zu reduzieren. Übermässige Verpackungen zu verbieten. Anreize für natürlich abbaubare, wiederverwendbare oder rückführbare Verpackungen zu bieten. Abgaben auf Kunststoffen und anderen nicht natürlich abbaufähigen Verpackungen und Materialien zu erheben;

- Rückgewinnung von Materialien durch die Trennung des Abfalls an der Quelle seines Entstehens oder durch mechanische Sortierung o.ä. in einem späteren Stadium der Abfallentsortungskette;

das Sammeln, Behandeln und Rückgewinnen von Industrieabfällen auszubauen;

- Anreize für örtliche Partner zu bieten, die weniger Abfall produzieren und die wiederverwertbaren Stoffe an der Quelle bearbeiten, z.B. durch eine Verminderung der Gemeindesteuern.

3. LUFTQUALITÄT

- Handlungsprogramme zur Verminderung der Quellen von Verschmutzung und schädlichen Emissionen;

- In den Städten Netzwerke für die Kontrolle der Luftverschmutzung zu betreiben;

- die nötigen Verkehrsmassnahmen durchzufühen, um den Grad der auf den Autoverkehr zurückzuführenden Luftverschmutzung zu verringern;

- den Einsatz von weniger stark verschmutzenden städtischen und häuslichen Heizsystemen zu fördern.

4. VERKEHRSWESEN

- die Qualität des öffentlichen Verkehrssystems zu verbessern (Frequenz, Situierung der Haltestellen/Bahnhöfe, Sicherheit, Fahrkartenkontrolle);

- den Gebrauch von schadstoffarmen Fahrzeugen zu unterstützen;

- ökologisch unbedenkliche Transportmittel (wie "bike and ride"-Möglichkeiten) zu bevorzugen;

- die kommunalen öffentlichen Verkehrssysteme innerhalb einer Region miteinander zu verbinden.

5. NATURSCHUTZ

- den Einsatz "sauberer" Technologie und von erneuerbaren, alternativen Energiequellen (z.B Sonnenkollektoren, Solarzellen, Wärmepumpen usw.) zu fördern;

- die aktive Erhaltung des städtischen Kulturerbes in all seinen Ausdrucksformen zu fördern und seine Zerstörung zu verhindern;

- einen notwendigen Bestand an Boden für die Entwicklung von Grünzonen, grossen Parks und Pufferzonen innerhalb der Stadt zu sichern;

- die charakteristischen Oberflächengewässer der Stadt zu schützen und zu bewirtschaften;

- den Einsatz einer angepassten Form von Umweltverträglichkeitsprüfung zu fördern, um die Erhaltung und solide Bewirtschaftung der Kulturwerte sicherzustellen.

6. TOURISMUS

- die touristischen Rundfahrten so umzuorganisieren, dass eine ausgewogene Verteilung der sich zusätzlich durch den städtischen Raum bewegenden Menschenmassen erreicht wird. Dichte Menschenkonzentrationen, wie sie üblicherweise an wichtigen Denkmälern zustande kommen, sollten so nach Möglichkeit vermieden werden;

- die einzuschlagende Politik muss eine gerechte Verteilung der Touristenströme und der finanziellen Gewinne sowie einen tatsächlichen und bleibenden Nutzen für die Entwicklung der Gemeinde und der Region gewährleisten;

- die kulturellen Werte des Orts zu erhalten und zu betonen, um einem Identitätsverlust vorzubauen.

7. EINBEZUG DER GEMEINSCHAFT

- die Sensibilisierung und Erziehung hinsichtlich Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung zu fördern;

- den Einbezug der Öffentlichkeit in die Entscheidungsprozesse zu fördern und zu erleichtern.

Anhang

ERKLÄRUNG BETREFFEND NACHHALTIGE ENTWICKLUNG

von

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(Name der Gemeinde oder Region)

Wir übernehmen die Grundsätze der Nachhaltigen Entwicklung, welche die folgenden Ziele umfassen:

1. Das Verbleiben innerhalb der Möglichkeiten der natürlichen Umwelt.

2. Herstellung von sozialer Gerechtigkeit, einer zukunftsbeständigen Wirtschaft und von Umweltgerechtigkeit;

3. Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse ohne Gefährdung der Möglichkeiten kommender Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.

4. Sicherstellung der Tatsache, dass die Ärmsten und am stärksten Benachteiligten der Gesellschaft nicht aufgrund ihrer Armut gezwungen sind, die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung ausser acht zu lassen.

5. Integration der Sozial, der Wirtschafts- und der Umweltpolitik mithilfe eines intersektoriellen Zugangs.

6. Aufrechterhaltung der Artenvielfalt und der menschlichen Gesundheit sowie hinreichend hoher Niveaus der Luft-, Wasser- und Bodenqualität, um das Leben und Wohlbefinden der Menschen, Tiere und Pflanzen zu erhalten.

7. Einbezug der Bürger, örtlichen Organisationen und Unternehmen in den Entwurf von Strategien für eine nachhaltige Entwicklung sowie in die Billigung und Umsetzung von Aktionsplänen (Lokale Agenda 21).

Bei der Verfolgung dieser Ziele werden wir uns an die in der Erklärung betreffend eine nachhaltige Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene des KGRE dargelegten Richtlinien halten.

Unterschrift:............................ Datum:.............................

Erläuterung

Eine Nachhaltige Entwicklung, wie sie im Brundtland-Bericht definiert ist, bedeutet eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation nachkommt, ohne die Möglichkeit kommender Generationen zu gefährden, die ihren zu befriedigen.

Die 1992 in Rio durchgeführte UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung verabschiedete die Agenda 21, worin eine Reihe von Programmen für die Herstellung einer ökologisch beständigen Zukunft im einzelnen beschrieben sind. Die am Erdgipfel von Rio erzielten Übereinkommen unterstreichen die quer durch die Sektoren und auf allen Ebenen, von der globalen bis hinunter zur örtlichen Ebene, bestehende Interdependenz der Probleme. Zwei Drittel der empfohlenen Handlungen müssen auf der kommunalen/regionalen Ebene in Gang gebracht und durchgeführt werden. Die Agenda 21 bestimmt:

"Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine "kommunale Agenda 21" beschliessen. Durch Konsultation und Herstellung eines Konsenses würden die Kommunen von ihren Bürgern und von örtlichen Organisationen, von Bürger-, Gemeinde-, Wirtschafts- und Gewerbeorganisationen lernen und für die Formulierung der am besten geeigneten Strategien die erforderlichen Informationen erlangen. Durch den Konsultationsprozess würde das Bewusstsein der einzelnen Haushalte für Fragen der nachhaltigen Entwicklung geschärft. Ausserdem würden kommunalpolitische Programme, Leitlinien, Gesetze und sonstige Vorschriften zur Verwirklichung der Ziele der Agenda 21 auf der Grundlage der verabschiedeten kommunalen Programme bewertet und modifiziert."

Um zu einem Konsens über die für den Umweltschutz benötigten Infrastrukturen und über die übrigen Aspekte nachhaltiger Entwicklung zu gelangen, muss die Lokale Agenda 21 auch geeignete Methoden für die Evaluierung und für den Informationsrückfluss bestimmen und festlegen.

Die 1994 angenommene Charta von Aalborg der Europäischen Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit enthält die Verpflichtung, die Umsetzung von Zukunftsbeständigkeit mithilfe kommunaler Handlungspläne zu betreiben. Durch den Beitritt zu der Europäischen Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden zeigen die beteiligten Gebietskörperschaften ihren Willen an, innerhalb ihrer Gemeinschaft einen Konsens über eine Lokale Agenda 21 zu erreichen. 1996 trat die Kampagne mit der Zustimmung zum Handlungsplan von Lissabon, der die Erfüllung der in der Charta niedergelegten Grundsätze betrifft, in ihre zweite Phase ein.

Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas erachtet die Förderung nachhaltiger Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene als eines seiner vordringlichen Anliegen. So nahm der KGRE im Juni 1997 die Erklärung betreffend eine nachhaltige Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene an, um die Gemeinden und Regionen darin zu bestärken, nachhaltige Entwicklung zu einem Leitziel ihrer Politik zu machen.

Die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften Europas sind aufgefordert, der Erklärung durch Unterschreiben der umseitigen Kurzversion zuzustimmen.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 4. Juni 1997, 2. Sitzung (s. Doc. CG (4) 7, Entschliessungsentwurf, vorgelegt von Herrn John HARMAN, Berichterstatter)