Entschliessung 140 (2002)1 betreffend Gemeinden und öffentliche Dienste
Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,
1. Erinnert an die Schlusserklärung der vom 10.-12. Oktober 2001 in Innsbruck (Österreich) durchgeführten Konferenz über "Die Gemeinden und die öffentlichen Dienste in Europa", welche der Kongress zusammen mit dem Ausschuss der Regionen der Europäischen Union sowie mit der Stadt Innsbruck organisiert hatte;
2. Unterstreicht, dass die Konferenz den gewählten Gemeindeabgeordneten eine Plattform für den Dialog, den Informations- und den Erfahrungsaustausch betreffend die Rolle der Gemeinden auf dem Gebiet der öffentlichen Dienste geboten hat;
3. In Anbetracht dessen, dass die Gemeinden die Aufgabe haben, den Konsumenten Dienstleistungen zu erbringen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, und das Wohlergehen der Bevölkerung sicherzustellen, während sie zugleich dafür sorgen sollen, dass die gemeindeeigenen Unternehmen in Europa wettbewerbsfähig sind;
4. Unterstreicht, dass die Gemeinden und Regionen oft Eigentümer von Infrastrukturen und Unternehmen im Bereich der öffentlichen Dienste sind, die wichtige wirtschaftliche und soziale Aufgaben erfüllen;
5. Stellt fest, dass die Liberalisierung der EU-Märkte in zahlreichen Fällen vor allem für die Unternehmen, aber auch für die breite Öffentlichkeit zu beträchtlichen und willkommenen Preisreduktionen für öffentliche Dienstleistungen geführt hat;
6. Hebt hervor, dass der Privatsektor in der Lage ist, zur Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Dienste beizutragen, da er Rentabilität mit Qualität der Leistungen verbindet;
7. Bedenkt im weiteren, dass sich eine vollständig öffentliche Erbringung der Dienste von allgemeinem Interesse in manchen Fällen als unwirksam und durch politische Einflüsse behindert erwiesen hat;
8. Meint dagegen, dass es nicht das Ziel des Privatsektors ist, bei der Erbringung von Dienstleistungen für Ausgewogenheit und soziale sowie territoriale Kohäsion zu sorgen, dass der Privatsektor sich eher nach dem Wert "Nutzen" als nach dem Wert "Interesse der Allgemeinheit" ausrichtet, dass er mehr nach der Maximierung als nach einer Optimierung des Profits sucht und nicht obligatorisch einer demokratischen Kontrolle unterworfen ist;
9. Bekundet seine Besorgnis angesichts der in Europa beobachtbaren Tendenz zur Konzentration im Sektor öffentliche Dienstleistungen (vor allem in der Energieerzeugung), die das Risiko birgt, dass sich die Produktion wie die Verteilung von Diensten in den Händern einiger weniger mächtiger Oligopole oder Monopole konzentriert;
10. Ist der Meinung, dass die Erbringung der wesentlichen Diente in den Städten in erster Linie als eine wohl ausgewogene Kombination von öffentlichen und privaten Elementen konzipiert werden sollte:
a. öffentlich hinsichtlich der Verpflichtung: einer breiten Palette von sozialen und wirtschaftlichen Interessen zu dienen; die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen; grunsätzliche Treue gegenüber den betreffenden Gemeinden zu gewährleisten; grössere Activa auf Gemeindeebene zu behalten; Achtung vor den Naturschätzen und der Umwelt zu fördern; Arbeitsplätze zu schaffen;
b. privat hinsichtlich: der unternehmerischen Freiheit; des Fehlens politischer Eiflüsse; bei der Lieferung der Leistungen den Kriterien Effizienz und Wahlfreiheit gehorchend;
11. Erwägt:
a. dass die Gemeinden die Freiheit und politische Autonomie haben sollten, zu wählen, wie sie ihre Infrastrurdiente und öffentlichen Dienstleistungen erbringen wollen;
b. dass es äusserst wichtig ist, für die demokratische Mitwirkung der Bürger hinsichtlich der Dienstleistungen zu sorgen; dass die Konsumentenvereinigungen konsultiert werden sollten, um sicherzugehen, dass die Versorgung den aktuellen Bedürfnissen entspricht; dass den Benützern klare, kostenlose und umfassende Informationen über die ihnen zustehenden Dienstleistungen gegeben und bei einem Lieferunterbruch eine angemessene und vernünftige Entschädigung gewährt werden sollte;
c. dass es wichtig ist, für grösstmögliche Transparenz hinsichtlich der Methoden der Erbringung der öffentlichen Dienstleistungen zu sorgen, dies vor allem hinsichtlich der Wahl der Erbringer, der Nutzung der öffentlichen Gelder, der Methoden der Preisbildung sowie der Verfahren bei der Vergabe der Aufträge;
12. Macht die Gemeinden aufmerksam auf:
a. die Notwendigkeit, zu garantieren, dass die für die Erbringung der öffentlichen Dienste benötigten Bauten und Einrichtungen gebührend gesichert und geschützt sind, um Naturkatastrophen oder Attentaten zu widerstehen;
b. auf die Dringlichkeit einer nachhaltigen Raumordnungspolitik, die dafür sorgt, dass die ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung darstellenden Infrastrukturen für öffentliche Dienste in angemessener Entfernung von den Wohnquartieren untergebracht werden und dass, umgekehrt, die Wohnquartiere nicht zu nahe an solche Einrichtungen heranwachsen;
13. Unterstreicht, dass die Optimierung der Rentabilität öffentlicher Dienste weder auf einer Übernutzung der Infrastrukturen noch auf einer Verminderung ihrer Kontrollen und ihres Unterhalts beruhen darf; erinnert diesbezüglich daran, dass ein unerbittlich auf schnelle Gewinne angelegtes Ausbeuten der Dienste sich mittel- und langfristig in beträchtlichen Verlusten für die Unternehmen und die Gemeinden niederschlagen kann;
14. Fordert die Gemeinden dere Mitgliedstaaten des Europarats auf:
a. die Kontrolle der Lieferungen der öffentlichen Dienste als systematische Verfahren auszugestalten (hinsichtlich der Tarife, der Kosten und der Informationen über die Lieferanten); eine demokratische Kontrolle über die Lieferanten der öffentlichen Dienste auszuüben und regelmässig eine Beurteilung des Wertes und der Qualität der erbrachten Dienste vorzunehmen;
b. bei Beschlüssen die Dienstleistungen betreffend den besonderen Bedürfnissen gewisser Bevölkerungskreise wie behinderter, einkommensschwacher, betagter Personen zu berücksichtigen und diesen Bedürfnissen bei den Kosten und der Art und Weise der Erbringung der Dienstleistungen Rechnung zu tragen;
15. Fordert die Gemeinden auf, darauf zu achten, dass eine territorial ausgewogene Verteilung der Dienste gesichert ist: dass nämlich benachteiligte Gegenden in den Genuss der selben Tarife und Vorteile kommen wie die wirtschaftlich besser gestellten Gebiete;
16. Fordert seinen statutarischen Ausschuss für nachhaltige Entwicklung auf, seine Tätigkeiten und Überlegungen betreffend die kommunalen öffentlichen Dienste weiter zu verfolgen und die Ausarbeitung eines Konpendiums mit Beispielen von Innovationen und guten Praktiken in dem Bereich ins Auge zu fassen.
1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 5. Juni 2002 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 6. Juni 2002 (siehe Dok. CPL (9) 4, Entschliessungsentwurf vorgelegt durch Herrn A. Schreiber, Berichterstatter)