Entschliessung 55 (1997)1 betreffend Finanzinstrumente der gemeinden und regionen Europas für die Umwelt

Der Kongress,

1. Nimmt Bezug auf den von Herrn Leinen (Deutschland) namens der Arbeitsgruppe für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung vorgelegten Bericht über "Finanzinstrumente der Gemeinden und Regionen Europas für die Umwelt"

2. Dankt dem Internationalen Rat für kommunale Umweltinitiativen (ICLEI) für seine Hilfe bei der Ausarbeitung des Berichts;

3. In der Erwägung, dass die Erhaltung und der Schutz der Umwelt ein Handeln auf allen Regierungsebenen erfordert, um die Marktkräfte in Schach zu halten, welche die Tendenz haben, durch den Drang nach Wirtschaftswachstum angetrieben zu werden, das einer Verbesserung der Lebensqualität entgegengesetzt ist;

4. In der Erwägung, dass die grösseren Umweltprobleme in Europa sich zunehmend auf städtische Gebiete konzentriert haben und mittelbar oder unmittelbar ein Ergebnis der raschen Urbanisierung sind;

5. Erinnert an die Entschliessung 245 (1993) des KGRE über die kommunale und regionale Umweltpolitik in Europa und insbesondere deren Punkt 23, worin vorgeschlagen wird, dass der KGRE das Steuer- und Finanzwesen im Hinblick auf den Umweltschutz prüfen solle;

6. In der Erwägung, dass im Rahmen einer allgemeinen Umweltpolitik Finanzinstrumente oft wirkungsvoller sind als die üblichen gesetzgeberischen Instrumente wie Vorschriften und Verbote, welche meist keine Anreize bieten, Lösungen im Sinne des Umweltschutzes über das gesetzlich Vorgegebene hinaus zu fördern;

7. In der Erwägung, dass Finanzinstrumente etliche ansprechende Eigenschaften haben, die, wenn sie gut entworfen sind, umweltfreundliches Verhalten fördern und Verschmutzung bestrafen können;

8. In der Erwägung, dass Finanzinstrumente den zu entrichtenden Preis für eine gewisse Tätigkeit oder einen Vorgang in solcher Weise beeinflussen können, dass umweltfreundliches Verhalten billiger zu stehen kommt als umweltschädliche Aktivitäten;

9. In der Erwägung, dass Finanzinstrumente

- Marktakteuren die Möglichkeit geben, sich unter Berücksichtigung der Kostenfaktoren für die beste Weise zu entscheiden, die Verschmutzung zu reduzieren,

- dauernde Anreize für technologische Verbesserungen und die Verminderung von Emissionen bieten,

- leichter und billiger anzuwenden sind als regulative Massnahmen, die die Überwachung des gesetzeskonformen Verhaltens erfordern;
10. In der Erwägung, dass die für den Umweltschutz am häufigsten eingesetzten Finanzinstrumente umfassen

- anspornende Preisstrukturen, welche ökologisch vernünftige Wahlmöglichkeiten begünstigen und die vollen Dienstleistungskosten decken,

- Steuerdifferenzierungen, wodurch umweltfreundliche Lösungen niedriger besteuert werden,

- Lizenzen und Gebühren, die ökologisch unerwünschte Aktivitäten unattraktiv machen,

- Sondersteuern und Steuerstrafen auf ökologisch teuren Praktiken, welche Gelder für kommunale oder regionale Umweltprogramme bereitstellen,

- Subventionen, die die Kosten von umweltfreundlichen Investitionen senken;

11. In der Erwägung, dass in Fällen, wo umweltschädigende Aktivitäten nicht angemessen in Rechnung gestellt oder gar durch öffentliche Gelder unterstützt werden, das kommunale/regionale Ökosystem langfristig irreversiblen Schaden nehmen könnte;

12. In der Erwägung, dass in gewissen europäischen Ländern die Finanzinstrumente durch kommunale und/oder regionale Behörden beschafft werden können, während die Behörden in anderen Ländern zentralstaatlich festgelegte und nach Ermessen zugeteilte Finanzinstrumente einsetzen dürfen;

3. In der Erwägung, dass allerdings die Macht der Gemeinden, ihre Politiken zu formulieren, in vielen europäischen Ländern allerdings sehr beschränkt ist und nur die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben aufgaben in Umweltbelangen im Zuständigkeitsbereich der Kommune liegen;

Ruft die Gemeinden und Regionen auf, wo immer möglich den Einsatz von Finanzinstrumenten auf den folgenden ökologischen Leitgebieten zu erwägen:

A. Erhaltung von Energie

14. Dort, wo die Preise für Elektrizität und Gas durch kommunale oder regionale Energielieferanten festgelegt werden, die in gewissem Ausmass der Kontrolle der Gemeinde oder Region unterstehen, sollte die Preisbildung dahingehend beeinflusst werden, dass die Bürger und Industrieunternehmen zu Energieeinsparungen motiviert werden;

15. Der Einsatz energiesparender Technologien und erneuerbarer Energiequellen sollte durch das Angebot von Subventionen und/oder Steuerkonzessionen an deren Anbieter und Benützer gefördert werden;

16. Die Gemeinden oder Regionen sollten Haushaltsvorständen im Privatsektor Zuschüsse zu baulichen Verbesserungen verschaffen, um die Kapitalkosten von Energiesparmassnahmen zu finanzieren;

B. Bewirtschaftung fester Abfälle

17. Alle Gemeinden sollten Gebühren für die Abfallbeseitigung einführen; diese sollten unmittelbar von der Abfallmenge abhängen, wodurch ein Anreiz für die Minimierung und den Wiedergebrauch anstelle der Beseitigung der Abfälle geschaffen würde;

18. Eine von den örtlichen Unternehmen eingeforderte Abgabe für die Nutzung von Deponien sollte einen Anreiz für die Wiederverwertung anstelle der Ablagerung schaffen;

19. Obwohl in der Abfallhierarchie die Wiederverwertung als der Beseitigung vorzuziehen gilt, sollte die Vermeidung und Minimierung das eigentliche Ziel bleiben, weshalb eine Kehrichtsammelgebühr auch für Wiederverwertbares in Betracht gezogen werden sollte;

20. Eine kommunale Gebühr für Packmaterial zum Zwecke seiner Einschränkung könnte
dessen Miteingehen in den Abfallstrom reduzieren;

>C. Luftqualität

21. Während Steuern auf Schadstoffemissionen im allgemeinen auf nationaler Ebene erhoben werden, sollten doch auch die Gemeinden eine Lizenzgebühr einführen, bei der Firmen eine Gebühr für die Emissionslizenz an ihre Gemeinde entrichten sollten;

22. In Übereinstimmung mit dem Verursacherprinzip sollten die Lizenzgebühren die stärker verschmutzende Vorgänge höher sein;

23. Die Gemeinden und Regionen sollten die Unternehmen auch für Verwaltungs- und Kontrollkosten zur Kasse bitten;

D. Wasser und Abwasser

24. Die Nutzung von Wasser sollte überall in Rechnung gestellt werden, vor allem auch in Ländern, wo Wasserknappheit herrscht. Dort, wo die Gemeinden und Regionen die Anbieter von Wasser kontrollieren, sollte die Preisbildung dahingehend beeinflusst werden, dass der sparsame Wasserverbrauch gefördert wird;

25. Zum Schutz der Grundwasservorkommen sollte mittels Subventionen oder Steuerkonzessionen eine ökologische Landwirtschaft gefördert werden;

26. Dort, wo die Gemeinden und Regionen das System der Abwasserbeseitigung kontrollieren, sollte vermittels Abgaben die Produktion von Abwässern eingedämmt werden;

27. Die Gebühren für die Abwässerklärung sollten so weit wie möglich sowohl die Menge des Abwassers als auch die Menge der darin vorhandenen Schadstoffe - wie etwa des Nitrats
- berücksichtigen;

E. Bodennutzung

28. Bodennutzungsabgaben sollten durch die Gemeinden und Regionen so erhoben werden, dass sie einen Lenkungseffekt hinsichtlich der Umwelt haben;

29. Die Bodenverschmutzung sollte dadurch möglichst klein gehalten werden, dass die Verschmutzer für die Reinigung des verschmutzten Bodens direkt belastet werden. Wenn öffentliche Gelder unnötigerweise darauf verwendet werden, verschmutzte oder zu Ödland gewordene Böden zu sanieren, wird das Verursacherprinzip untergraben;

30. Die Gemeinden und Regionen sollten mittels Subventionen oder Steuererleichterungen Anreize dafür schaffen, dass unbebaute, verlassene oder verschmutzte Grundstücke in umweltverträglichem Sinn wieder urbar gemacht werden;

F. Verkehr

31. Die Gemeinden und Regionen sollten den Strassenverkehr - in Stadtgebieten einen der schlimmsten Verschmutzungsfaktoren - so weitgehend wie möglich einschränken. Das wichtigste Finanzinstrument, um dies zu erreichen, ist die Einführung von Parkgebühren;

32. Daneben gibt es die Möglichkeit, eine Erschliessungsabgabe für Neuüberbauungen nach Massgabe des durch sie zu erwartenden erhöhten Verkehrsaufkommens zu erheben;

33. Das Einkommen aus solchen Gebühren und Belastungen sollte für die Subventionierung des öffentlichen Verkehrs benützt werden, um Anreize für das Umsteigen von nicht umweltgerechten auf umweltgerechte Transportmittel zu bieten;

34. In gewissen Gegenden können kommunale oder regionale Strassennutzungsgebühren gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, sie bewirken nicht eine ökologisch ungebührliche Belastung anderer (gebührenfreier) Strassen;

35. Wo dies möglich ist, sollten die kommunalen Behörden die Ahndung von Verkehrsdelikten (wie Parken in Parkverbotsgebieten, Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Stadtgebiet usw.) übernehmen. Das Einkommen aus solchen Belastungen sollte für Reinvestitionen in umweltgerechte Verkehrsformen eingesetzt werden;

Beauftragt seine Arbeitsgruppe für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, ihre Arbeit auf diesem Gebiet im Hinblick auf den Entwurf einer Empfehlung zuhanden des Ministerkomitees fortzusetzen.

1Diskussion und Annahme durch den Kongress am 4. Juni 1997, 2. Sitzung (s. Doc. CG (4) 8, Entschliessungsentwurf, vorgelegt von Herrn Josef LEINEN, Berichterstatter)