Entschliessung 43 (1997)1 betreffend "Europa allen jugendlichen Öffnen: Städte und Regionen in Aktion"

Der Kongress,

hat zur Kenntnis genommen

1. die verschiedenen in Europa vor allem im Rahmen der Europäischen Union konzipierten und durchgeführten Programme, welche immer mehr Kategorien von Jugendlichen eine europaweite Mobilität ermöglichen;

2. die sowohl im Rahmen der Europäischen Union wie des Europarats laufenden Projekte und Arbeiten für die Schaffung eines freiwilligen Europadienstes junger Menschen;

3. die am 12. Oktober 1995 angenommene Empfehlung Nr. R (95) 18 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten betreffend die Mobilität der Jugendlichen;

4. die durch die "Jugend"-Gruppe des KGRE bei einigen Städten und Regionen Europas sowie bei Sozial- und Gassenarbeitern und anderen Jugendbetreuern und deren Verbänden durchgeführte Umfrage über die Mobilitätserfahrungen Jugendlicher;

5. den durch Frau O. Bennett (Irland) und Frau M.R.Wolterink-Oremus (Niederlande) zum Thema "Europa allen Jugendlichen öffnen - Städte und Regionen in Aktion" vorgelegten Bericht

und stellt fest

6. ein durch verschiedene einschlägige europäische Kreise (Jugendliche allgemein, Praktiker, Sozialarbeiter, Volksvertreter sowie Gemeinde- und Regionalbehörden) bekundetes Interesse für den Einsatz von mehr Phantasie und Anstrengung, um Europa wirklich allen Kategorien von Jugendlichen, vor allem auch denjenigen aus benachteiligten Kreisen und Stadtteilen sowie jungen Arbeitern, zu öffnen;

7. dass die Verwirklichung einer solchen Politik der Öffnung der Jugend aller gesellschaftlichen Horizonte für Europa einen allgemeinen Bezugsrahmen erfordert, das heisst eine allgemeine Jugendpolitik, die auf kommunaler und regionaler Ebene tatsächlich umgesetzt wird;

Erinnert daran,

8. dass die mit der Entschliessung 237 (1992) der KGRE angenommene Europäische Charta der Beteiligung der Jugendlichen am Leben der Gemeinde und Region Angaben für die Konzeption und Umsetzung einer Jugendpolitik im allgemeinen und einer Mobilitätspolitik im besonderen enthält;

9. dass das vor ein paar Jahren durch die KGRE in Gang gebrachte und zwischen einigen europäischen Städten umgesetzte Projekt "Neue Europagesellen" dazu bestimmt war, die Mobilität der jungen Arbeiter, vor allem der jungen Handwerker, zu erleichtern;

Empfiehlt

A. den europäischen Städten und Regionen, eine Politik der Öffnung aller Jugendlichen für Europa nach folgenden Grundsätzen und Modalitäten zu planen und umzusetzen:

I

Hinsichtlich der Öffnung für Europa,
die sich vor allem durch Gruppenreisen Jugendlicher
ins Ausland einstellt

1. Komplementarität

1.1 Diese Form der Mobilität, die Auslandsreise einer aus allen sozialen Schichten zusammengesetzten Jugendgruppe, ist nicht Selbstzweck, sondern eine Etappe innerhalb eines umfassenderen Projekts, nämlich einer Jugendpolitik, die zusammen mit anderen öffentlichen Politiken die Lebensumstände der am stärksten gefährdeten Jugendlichen anvisiert;

1.2 Eine solche Aktion kann nur in enger Verbindung mit den Reisebegleitern der Jugendlichen konzipiert und verwirklicht werden: mit Sozialarbeitern, Vereinen, sozialen oder kirchlichen Diensten, Schulen und Ausbildungszentren. Auch die Familien der Jugendlichen müssen mit einbezogen werden;

1.3 Die Vorbereitungsphase der Reise müsste als eine Aneignung des Projekts in allen seinen Aspekten (emotional, bildungsmässig, gesellschaftlich, technisch, menschlich usw.) durch die Jugendlichen betrachtet werden und sie von Beginn an mobilisieren. Die Auslandreise selbst kann mehrere unmittelbare Ziele (kulturelle, sportliche, sprachliche, praktische, humanitäre usw.) umfassen;

2. Solidarität

2.1 Das Vorhaben einer Gruppenreise ins Ausland kann Ausgangspunkt einer neuen, auf ein bestimmtes Ziel ausgerichteten Solidarität sein - anfangs einer Solidarität der Jugendlichen mit ihren Begleitern, dann aber auch einer solchen unter den Jugendlichen selbst, unabhängig von ihrem Milieu oder Herkunftsort;

2.2 Die Phase der Reisevorbereitungen bedeutet ein wechselseitiges Lernen von Gleichheit und Freundschaft. Die Teilnehmer lernen einander kennen, respektieren und zusammenarbeiten. Damit wird dies zu einer Phase des Austauschs, die dem Austausch mit dem Fremden, mit anderen Orten und anderen Jugendlichen, vorausgeht;

2.3 Die Qualität und Effizienz der Zeiteinteilung und der alltäglichen Arbeitsteilung auf der Reise hängt ab vom Grad des vor Antritt der Reise erreichten solidarischen Zusammenhalts;

3. Dauer

3.1 Eine gelungene Gruppenreise ins Ausland ist ein Bezugspunkt und zugleich ein Ausgangspunkt sowohl für die Erzieher als auch für die Jugendlichen. Vor allem können sich die Erzieher später auf die Reise und deren Bilanz stützen, um ihre Methoden der sozialen Begleitung zu erneuern;

3.2 Nach der Reise ist es wichtig, die Solidarität der Gruppe im Rahmen formeller oder informeller Strukturen (Klubs, Jugendstrukturen, Vereine usw.) wie auch im Alltag aufrechtzuerhalten, damit die Gruppe weitere Projekte, sei es am Wohnort selbst oder anderswo, zunehmend selbständiger konzipieren kann;

3.3 Jedes Projekt "Austausch/Reise" schafft eine doppelte Erwartungshaltung, die sich einerseits auf die Reise selbst und andererseits auf den Alltag der Jugendlichen bezieht. Das Vorhaben kann dann als geglückt bezeichnet werden, wenn diese beiden Erwartungen erfüllt wurden.

4. Vorgängige Massnahmen allgemeiner Art

4.1 Einführung einer allgemeinen Jugendpolitik in Umsetzung der Europäischen Charta der Beteiligung der Jugendlichen am Leben der Gemeinde und Region, worin unter anderem eine Freizeitpolitik sowie eine Politik der Jugendvereine und eine solche der Jugendmobilität vorgesehen ist;

4.2 Die durch die Gruppenreise der Jugendlichen ins Ausland geschaffene Öffnung für Europa in die Herstellung und Führung von Partnerschaften zwischen Städten bzw. Regionen einbeziehen;

4.3 Gestützt auf solche unterschiedlichen Faktoren, im Interesse der Jugendlichen jeder gesellschaftlichen Herkunft eine lokale und regionale Sprachpolitik in die Wege leiten;

4.4 Dafür sorgen, dass die Projekte der Öffnung für Europa auch der weiblichen Jugend offen stehen;

5. Sozialarbeiter

5.1 Die Rolle der Sozialarbeiter, Gassenarbeiter und Erzieher/Jugendbetreuer aller Art für die Öffnung der Jugendlichen für Europa anerkennen;

5.2 Die Schaffung europäischer Gruppierungen solcher Arbeiter oder ihrer Verbände erleichtern;

5.3 Den Austausch solcher Arbeiter zwischen den Ländern zu Zwecken des Studiums, der Kenntnisse oder der Partnerschaft erleichtern;

5.4 Den Austausch dieser Arbeiter einschliesslich seiner sprachlichen Aspekte in die Anbahnung und Durchführung von Partnerschaften zwischen europäischen Städten bzw. Regionen integrieren;

6. Organisation

6.1 Falls die Auslandreise nicht direkt geleitet ist, bei den verschiedenen Akteuren, einschliesslich der Vereine, Schulen und kirchlichen Dienste, eine informierende und koordinierende Rolle übernehmen;

6.2 Mit Hilfe der Anlage eines besonderen Haushaltstitels für eine finanzielle - eventuell auch nur ergänzende -Unterstützung sorgen und in Anbetracht der langfristigen Vorbereitungen frühzeitig genug vor Reisebeginn, am besten im Januar des für die Auslandsreise vorgesehenen Jahres, über die Vergabe einer solchen beschliessen;

6.3 Den Transport der Gruppe erleichtern; für eine permanente Kontaktadresse während der Reise sorgen; dem ganzen einen offiziellen Anstrich verleihen, beispielsweise durch den Empfang der ausländischen Jugendlichen in der Stadtverwaltung;

7. Hindernisse für die Mobilität Jugendlicher

7.1 Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten den an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlungen (Empfehlung Nr. R (95) 18) Folge leisten, um die diversen statutarischen, administrativen und anderen den Jugendlichen den Weg nach Europa verbauenden Hindernisse, insbesondere bei der Ein- und Ausreise auch einfacher Reisegruppen, zu beseitigen;

7.2 Vor allem auch bei den staatlichen Verwaltungen vorstellig werden, um die Gruppenreise ins Ausland als ein Element der Allgemein- oder Berufsbildung der über 18-jährigen, unterstützungsberechtigten Jugendlichen anerkennen zu lassen;

7.3 Wenn die bestehenden Versicherungen eine Deckung des Krankheits- und Unfallsrisikos auf Reisen nicht erlauben, mit einer Versicherungsgesellschaft einen Vertrag abschliessen, sodass die für die Gruppe Verantwortlichen eine Kollektivversicherung abschliessen können;

II

Hinsichtlich der Öffnung junger Arbeiter für Europa

1. Klar zu erkennen, dass der Aufenthalt junger Arbeiter in einem anderen europäischen Land

- die Möglichkeit bietet, die Allgemeinbildung wie auch die spezifische Ausbildung der Jugendlichen zu europäisieren;

- ein Mittel ist, ihre sprachlichen und technischen Kenntnisse zu verbessern;

- die berufliche Situation der Jugendlichen oder ihre berufliche Eingliederung nach der Rückkehr in das Herkunftsland konsolidieren kann;

- eine Erfahrung ist, die zu dauerhaften Beziehungen und vielerlei Projekten zwischen den jungen Europäern führen und so den zukünftigen Aufbau Europas fördern kann;

2. Eine derartige Politik der Mobilität primär an ein Publikum von jungen Arbeitern zu richten, die einen durch ein Diplom oder eine andere Form der beruflichen Anerkennung sanktionierten Beruf gelernt und zwischen 18 und 25 Jahre alt sind; subsidiär die in Berufsausbildung befindlichen Jugendlichen ab 16 Jahren anzuzielen;

3. Zwischen je zwei oder mehr Kommunen oder anderen betroffenen Gebietskörperschaften, vorzugsweise solchen, die bereits unterschiedlich geartete Kontakte (Partnerschaften, gemeinsame Initiativen oder Projekte usw.) pflegen, Abkommen auszuarbeiten, sodass sich kleine Netze ergeben;

4. Den bereits anerkannten jungen Arbeitern, die dies wünschen, die Möglichkeit zuzusichern, während etwa dreier Monate im Ausland einer bezahlten Arbeit nachgehen zu können, während die noch in Berufsausbildung stehenden Jugendlichen in den Genuss eines kürzeren Aufenthalts (von ca. 1 Monat) kommen sollten. Die beiden Massnahmen sollten nicht unvereinbar sein, sondern ein Kontinuum darstellen;

5. Vorab eine Analyse der unterschiedlichen Hindernisse (sozio-ökonomischer, administrativer, sprachlicher oder anderer Art2), die sich der Umsetzung einer solchen Mobilitätspolitik entgegenstellen, durchzuführen im Hinblick auf Massnahmen zu deren Behebung in jedem einzelnen Fall;

6. Sich diesbezüglich unmittelbar auf Gemeinde- oder Regionalebene einzusetzen und beispielsweise bei den Jugendstrukturen eine Koordinationsstelle unter einem leicht identifizierbaren Beamten schaffen, der mit der Umsetzung einer solchen Mobilitätspolitik beauftragt ist;

7. Auf unterschiedlichen Ebenen und mit verschiedenen Partnern zu koordinieren:

- die örtlichen Berufsschulen, vor allem für die jungen Auszubildenden, aber auch für die frisch diplomierten Jugendlichen;

- die örtlichen Handels- und Handwerkskammern, welche aufgefordert werden sollten, eine Struktur für die europaweite Mobilität junger Arbeiter und Handwerker zu schaffen;

- die Gewerkschaften;

- die für die Einstellung Jugendlicher verantwortlichen zentralstaatlichen und kommunalen Behörden und jede andere Stelle, die die Umsetzung der genannten Politiken erleichtern kann;

- die Jugendvereine oder andere Vereinigungen mit Erfahrungen oder Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendmobilität;

- das Europäische Netz der Arbeitsämter;

8. Die eigentlichen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben einer Organisation mit dem Status einer regierungsunabhängigen Organisation anzuvertrauen;

9. Das zu schaffende System auf gegenseitigen Austausch auszurichten;

10. Deshalb eine enge Verbindung zwischen dem Koordinator im Herkunfts-und demjenigen im Ankunftsland vorzusehen. Dazu müssen sie beide den Kontext, in welchem die Aktion des Anderen stattfindet, kennen. Das bedingt nicht nur ständigen Kontakt zwischen den beiden, sondern auch gegenseitige Besuche zur Kenntnisnahme der örtlichen Gegebenheiten; aus alle diesem soll die Vorbereitung der eigentlichen Aktion und eine situationsspezifische, mit der Zeit noch verbesserungsfähige Methode der Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern erwachsen;

11. Die Koordinatoren von Anbeginn an auch zum Aufbau eines Kontrollsystems anzuhalten;

12. Die Auslandsaufenthalte zu belohnen mit einem in den betreffenden beiden Sprachen ausgestellten Zeugnis "Europäische(r) Jungarbeiter(in)", welches das Emblem des Europarats, den Titel "Kongress der Gemeinden und Regionen Europas", den Programmtitel "Europäische Jungarbeiter" und den Untertitel "Neue Europagesellen" trägt;

13. Den Start dieser Einrichtung für die Jahre 1997-1998 vorzusehen, sodass sie im Jahr 2000 in einer bedeutsamen Anzahl europäischer Städte und anderer Gebietskörperschaften einsatzfähig ist.

B. Den Gemeinden und Regionen

1. der Mitgliedstaaten des Europarats, welche die internationalen Übereinkünfte betreffend die Mobilität Jugendlicher - insbesondere die Europäische Vereinbarung über das Reisen Jugendlicher mit Kollektivpass innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats (1961) sowie das Teilabkommen betreffend die "Jugendkarte" (Entschliessung (91) 20 des Ministerkomitees) - noch nicht angenommen haben, ihren nationalen Regierungen die Wünschbarkeit einer möglichst umgehenden Annahme dieser Übereinkünfte nahezulegen;

2. der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die zuständigen Instanzen der Union, insbesondere den Ausschuss der Regionen, aufzufordern, die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung der Programme von Städten und Regionen für die Umsetzung der vorliegenden Entschliessung zu prüfen.

1 Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 7. März 1997 (s. Dok. CG (3) 13, durch Frau O. Bennett und Frau M.R. Wolterink-Oremus, Berichterstatterinnen, vorgelegter Entschliessungsentwurf)

2 Einige Beispiele solcher Hindernisse: unter Umständen Verlust des Arbeitslosenstatus und der Arbeitslosenunterstützung; Verlust der Krankenversicherung; Probleme im Zusammenhang mit der Rückkehr, der Aufenthaltsgenehmigung und der Sozialversicherung für Nicht-Staatsangehörige; Inkompatibilität der Verträge und Nichtanerkennung der vermittelten Stelle; Probleme im Zusammenhang mit der Unterbringung, finanziellen Mitteln, Sprachkenntnissen; Furcht vor Verlust der Arbeitsstelle; Bedürfnis nach einem Stützpunkt im Ankunftsland.