Entschliessung 40 (1996)1 betreffend Arbeitslosigkeit/arbeit: neue Tätigkeiten und Berufe - Einsatz und Perspektiven im kommunalen Zuschnitt

Der Kongress,

Erinnernd an

1. die durch den KGRE im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ergriffenen Initiativen und angenommenen Texte, insbesondere:

- die Entschliessung 145 (1983) über die Gemeinden und Regionen angesichts der Herausforderung durch die Arbeitslosigkeit,

- die Entschliessung 178 (1986) betreffend die Konferenz über die Beschäftigung Jugendlicher,

- die Ergebnisse des Seminars "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Ausbildung: die Rolle der Stadt" (Stockholm, 1993);

2. die Entschliessung 237 (1992) betreffend die Charta der Beteiligung der Jugendlichen am Leben der Gemeinde und Region, die Entschliessung 243 (1993) über Bürgerrechte und tiefe Armut: die Erklärung von Charleroi, die Entschliessung 244 (1993) über das Recht auf Unterkunft und die Bedingungen seiner Umsetzung durch die Gemeinden und Regionen, die Konklusionen der Konferenz über Gesundheit und Bürgerrechte - der Zugang zu Pflege für die Ärmsten in Europa (Strassburg, 8.-9. Februar 1996);

Zur Kenntnis genommen habend:

1. die Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine europäische Strategie zur Förderung lokaler Entwicklungs- und Beschäftigungsinitiativen (13. Juni 1995);

2. die Initiativstellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den lokalen Entwicklungsinitiativen und der Regionalpolitik (25. Oktober 1995);

3. die in den Konklusionen der Internationalen Konferenz über "Arbeitslosigkeit/Arbeit: neue Tätigkeiten und Berufe - Einsatz und Perspektiven im lokalen Zuschnitt", welche der KGRE in Zusammenarbeit mit dem Regionalrat der Toscana (Florenz, 9.-10. Mai 1996) durchgeführt hatte, gutgeheissenen Orientierungen.

Stellt fest,

dass eine Periode tiefgreifender wirtschaftlicher Strukturänderungen eingesetzt hat (neue Technologien und Herstellungsverfahren, Globalisierung usw.), die zusammen mit dem Arbeits- und Beschäftigungsstatus der Individuen, auch den eigentlichen Sinn der menschlichen Existenz zu gefährden droht.

Unterstreicht,

dass das Anhalten, ja, die Verschärfung der Arbeitslosigkeit, welche die Jugendlichen, Frauen und mindestqualifizierten Arbeiter noch härter trifft, in krassem Widerspruch steht zu den Grundsätzen, wie sie in den verfassungsbegründenden Charten und den grundlegenden internationalen Texten niedergelegt sind.

Erklärt,

dass einzig eine erneuerte Solidarität es ermöglichen wird, den Unsicherheiten und Herausforderungen der Zukunft die Stirn zu bieten, und dass den Gemeinden und Regionen die wichtige Rolle zukommt, während dieser neuen industriellen Revolution die Kontinuität zu sichern und einen friedlichen Übergang zu organisieren, der Jugend eine Chance zu geben, indem sie die Beschäftigungen der Zukunft freisetzen, und, ausgehend von den kleinsten Siedlungen, Bürgersinn sowie verantwortungsbewusstes und solidarisches Handeln bei der grösstmöglichen Anzahl von Bürgern zu fördern.

Empfiehlt

den Gemeinden und Regionen des Grossen Europa, die Richtlinien zu berücksichtigen, wie sie in den der vorliegenden Entschliessung beigegebenen Konklusionen der Konferenz von Florenz enthalten sind, und sich beim Einleiten neuer öffentlicher Politiken von ihnen anregen zu lassen, so insbesondere:

1. als Arbeitgeber vorbildlich zu sein;

2. die Staaten und europäischen Institutionen aufzufordern, ihren rechtlichen Rahmen für das Vorgehen gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung abzuändern;

3. teilzunehmen an gezielten gemeinsamen Aktionen im Rahmen von Partnerschaften zwischen Städten bzw. Regionen West-, Zentral- und Osteuropas sowie zwischen Städten in Europa und solchen auf der südlichen Halbkugel;

4. in einfallsreicher und zielstrebiger Weise einzugreifen, um Arbeitslosen und in Schwierigkeiten steckenden Jugendlichen zu helfen, indem sie die Schaffung von Vereinigungen zum Schutz der Arbeitslosen erleichtern, die jedermann offenstehen, und Strukturen zur Verhütung von Arbeitslosigkeit schaffen;

5. regelmässig die Möglichkeiten zu untersuchen, welche die kleinen und mittleren Unternehmen, das traditionelle Handwerk, der Agrotourismus, die Kulturgüter, der Umweltschutz, der Gesundheitsschutz und, vor allem, das Wohnungswesen bieten, ohne dabei die Mikro-Initiativen und Nachbarschaftsdienste zu vergessen;

6. Partnerschaften zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren zu schaffen und dabei dem Beispiel jener zu folgen, die zum Programm IGLOO gehören, das zugleich die Wohnungsbeschaffung, die berufliche Ausbildung und die soziale Wiedereingliederung anstrebt;

7. der grösstmöglichen Zahl von Menschen, besonders aber allen Jugendlichen einschliesslich derjenigen aus benachteiligten Milieus, den Zugang zur Informations- und Lerngesellschaft zu öffnen, indem sie sozial nutzbringende örtliche Anwendungsformen der Informations- und Kommunikationstechnologien prüfen und verwirklichen;

8. durch beispielhafte Pilot-Initiativen zur Erneuerung der Bildungs- und Ausbildungssysteme beizutragen;

9. nach einer Bestandsaufnahme der nichtgenutzten menschlichen Ressourcen in jedem Gebiet, Stadtteil, jeder Stadt, jedem Departement und jeder Region die Entfaltung eines neuen Beschäftigungssektors zu fördern, und so die kollektiven Aufgaben zu konzipieren, die es zu bewältigen gilt, um Bedürfnisse zu befriedigen, die, weil bisher unerfüllbar, noch nicht manifest geworden sind;

10. die Entfaltung einer echten europäischen Politik der Mehrsprachigkeit anzuregen, indem sie, gestützt auf Partnerschaften zwischen europäischen Städten und Regionen, experimentelle Pilotprojekte durchführen;

11. im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und nach dem Wortlaut der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung zu handeln,

i) um die menschlichen Aktivitäten auf kommunaler und regionaler Ebene in innovativer, dabei aber systematischer Weise, demokratisch und offen, flexibel und pluralistisch zu fördern,

ii) um ihre eigenen Strukturen und Verhaltensweisen nach den selben Grundsätzen zu erneuern, so dass tatsächlich ein Bürgersinn gemäss den in den Konklusionen der Konferenz von Florenz enthaltenen Vorschlägen gefördert wird.

Bestätigt

die Aktualität und Sachdienlichkeit der Ansätze, wie sie in den Entschliessungen 236 (1992), 237 (1992), 243 (1993), 244 (1993) der KGRE sowie in der Empfehlung 5 (1994) und der Entschliessung 15 (1995) des Kongresses enthalten sind und fordert die europäischen Städte und Regionen auf, diese Ansätze auch im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konklusionen der Konferenz von Florenz sowie der vorliegenden Entschliessung wieder zu berücksichtigen.

Beschliesst,

a) in Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen und/oder interessierten Städten und Regionen Europas Studien- und Vorschlagstage zu organisieren über:

1. die Einführung einer echten Politik der Vielsprachigkeit auf kommunaler und regionaler Ebene, und zwar als Faktor einer sowohl der Sozialisierung für Europa wie auch der Schaffung von Arbeitsplätzen und neuen Berufen bzw. Tätigkeiten;

2. die Förderung des Zugangs zu Wohnraum sowie der Partizipation als Faktor der beruflichen Förderung, der sozialen Eingliederung und der Schaffung neuer Tätigkeiten;

3. sozial nutzbringende Anwendungen der neuen Informations- und Kommunikations-technologien in Gemeinde und Region, um so der grösstmöglichen Zahl, vor allem jedoch allen Jugendlichen, auch denjenigen aus benachteiligten Herkunftsmilieus oder -orten, den Zugang zu der neuen Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu öffnen.

b) in Anbetracht des Fortbestehens und des Ernstes der Beschäftigungs- und Arbeitslosenprobleme das Präsidium um eine Prüfung der Opportunität zu bitten, die Arbeitsgruppe "Arbeitslosigkeit/Beschäftigung" weiterzuführen mit dem Auftrag, die bereits eingeleiteten Arbeiten und Untersuchungen unter Einbezug der Vertreter von Unternehmen und Gewerkschaften fortzusetzen.

ANHANG

Internationale Konferenz

ARBEITLOSIGKEIT/ARBEIT

Neue Tätigkeiten und Berufe
Einsatz und Perspektiven im kommunalen Zuschnitt

Florenz (Italien) 9.-10. Mai 1996

Konklusionen

Einführung

1. Auf Initiative des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE) im Europarat und der Region Toscana sind am 9. und 10. Mai 1996 in Florenz (Italien) kommunale und regionale Volksvertreter aus mehreren Ländern des Grossen Europa sowie Vertreter von Vereinen, Fachleute und aktiv europäische Bürger zu einer Konferenz über "Arbeitslosigkeit/Arbeit: neue Tätigkeiten und Berufe - Einsatz und Perspektiven im kommunalen Zuschnitt" zusammengekommen.

2. Nachdem sie die einführenden Berichte von Vertretern aus der politischen, akademischen und Vereinswelt angehört hatten, untersuchten die Teilnehmer die in der Toscana (Italien), im Test-Tal (Vereinigtes Königreich), in Dorsten/Nordrhein-Westfalen (Deutschland), in Arraiolo Alentejo (Portugal), in Wallonien und Charleroi (Belgien), in der Provinz Nowy Sacz und Südost-Polen und schliesslich in den drei europäischen Hauptstädten Budapest (Ungarn), Wien (Österreich) und Helsinki (Finland)2 durchgeführten Innovationspolitiken und Pilotaktionen.

3. Nach einem Gespräch am Runden Tisch stellten die Teilnehmer die starken Unterschiede zwischen den Situationen und den eingesetzten Politiken, aber auch die tiefe Sorge und den ehrlichen Willen fest, sowohl Mittel als auch Wege zu finden, Europa aus der tiefen Arbeits- und Beschäftigungskrise herauszuholen, in der es gegenwärtig - zwar, je nach Ort und Zeitpunkt, unterschiedlich stark, aber immer mit den selben verheerenden Folgen für die Lebensbedingungen allzuvieler Individuen und Familien, für die Gesamtgesellschaft und, vor allem, für die Zukunft unserer Demokratien - steckt.

4. Als erstes liessen es sich die Teilnehmer angelegen sein, ihre Verbundenheit mit den ihre Charten und Pakte begründenden Prinzipien, die in Zeiten der Krise nur noch aktueller und zutreffender würden, zu unterstreichen. Die Solidarität muss nicht nur beschützt, sondern entwickelt werden, um zu verhindern, dass das Übel noch weiter voranschreitet und eines Tages auch jene trifft, die sich heute in Sicherheit glauben. Die im Gange befindlichen Versuche, Aktionen und politischen Entwürfe vermitteln den Eindruck, dass wir zwar unterwegs sind, aber mit noch unbekanntem Ziel. Deshalb können wir die Bindungen zu alle dem, was uns vertraut ist und uns als Orientierungspunkt dient, nicht durchtrennen. Das bedeutet, dass wir für Kontinuität sorgen und zugleich den Übergang - in anderer Weise - bewerkstelligen müssen. So bereiten wir uns möglicherweise auf das Neue vor, das im wesentlichen in den kommenden Generationen beschlossen ist: wir werden eine Form der Erziehung und Ausbildung konzipieren, der menschlichen Initiative vertrauen, sie herauslocken und beschützen müssen. Sobald wir unseren Einsatz besser kennen, können wir auch sicherer vorangehen: so war denn auch die Rolle der Gebietskörperschaften für die Förderung der Bürgergesinnung und die Entfaltung menschlicher Tätigkeiten in allen ihren Formen der letzte Punkt, den die Teilnehmer in Florenz in ihren Konklusionen berührten. Diese Konklusionen sollten somit als Richtlinie für weitere Reflexionen wie auch als Einladung zu freiem und solidarischem Vorgehen gelesen werden, das allein in der Lage ist, eine wirklich gemeinsame Zukunft zu gewährleisten.

I - Die Solidarität entwickeln

1. Jede die Zukunft der Arbeit und Beschäftigung, das Heraufkommen neuer Tätigkeiten und Berufe betreffende Diskussion erfordert, dass vorab die brennende Frage des Platzes geklärt wird, den in unseren Gesellschaften solche Personen, Familien und Gruppen einnehmen, die ihrem Schicksal überlassen, verlassen, beraubt und schutzlos dastehen vor den unerbittlichen Forderungen des Lebens und der Welt.

Eine zivilisierte Gesellschaft muss Allen, ob arbeitend oder nicht, einen hinreichenden Lebensstandard gewährleisten.

Umso mehr muss eine entwickelte Gesellschaft die traditionelle Verbindung zwischen Arbeit und Lebensunterhalt lockern.

Indessen muss eine ausgewogene und gerechte Gesellschaft die Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten wie auch die bestehenden Einkommen miteinander teilen.3

2. Zur Zeit sind in unseren Gesellschaften die Lebensbedingungen und die gesellschaftliche Anerkennung abhängig von einer anständig entlöhnten "Arbeitsstelle". Es darf nun nicht so werden, dass die im Gange befindlichen Veränderungen zu verhältnismässig sicheren und anständig bezahlten "Arbeitsstellen" für die einen und nicht anerkannten, nicht bezahlten "Tätigkeiten" für die anderen führen.

3. Die menschliche Betätigung ändert sich in Form und Gehalt. Die herkömmlichen "Arbeitsstellen" werden weniger. Diese Verringerung lastet jedoch verhältnismässig stärker auf den Schwächsten, die mehr als die Übrigen abhängen von der herkömmlichen Arbeit.

4. Folglich ist ein Wandel vonnöten, der auf eine Verteilung dessen abzielt, was die menschliche Tätigkeit selbst bedingt: der gesellschaftlichen Zeit und des gesellschaftlichen Raums. Der Ausschluss aus der gesellschaftlichen Zeit führt zu gesellschaftlicher Nutzlosigkeit, während der Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Raum zu gesellschaftlicher Unsichtbarkeit und zur räumlichen Verbannung der Person führt.

Mit anderen Worten geht es heute um die Frage der nützlichen oder der unnützen Existenz der menschlichen Person. Die Entwicklung der Arbeit, der Beschäftigung, der Aktivität und des Einkommens offenbart in zunehmendem Mass das Vorhandensein eines "Menschenrechts" schlechthin.

Folglich muss die Gesamtmasse der menschlichen Aktivitäten neu aufgeteilt werden - die Kultur, das Wissen, die Ausbildung, den Bereich der Öffentlichkeit und sämtliche übrigen Aktivitäten, einschliesslich der "Arbeit". Gleichzeitig muss die menschliche Aktivität von Grund auf neu durchdacht werden.

5. Weder die Gesellschaft noch ihre politischen Vertreter können die wesentliche Frage nach der Zukunft der menschlichen Aktivität und ihrem Status umgehen. Sie ist nicht nur zentral: sie ist vorrangig. Daher werden unsere öffentlichen Politiken und mit ihnen unsere Institutionen nach ihrer Fähigkeit beurteilt werden, sie angemessen zu beantworten.4

6. Die Städte und Regionen Europas müssen somit beitragen zu diesem unvermeidlichen Wandel des öffentlichen Handelns. Manche von ihnen veröffentlichen regelmässig Berichte über die Entwicklung der Ungewissheiten und deren Folgen für die Lebensbedingungen der betroffenen Personen und Familien (Armut, Ausgrenzung usw.). Und viele setzen Pläne für die Bekämpfung der Unsicherheiten und der tiefen Armut um, die mehrere Partner miteinbeziehen und mehrere Aspekte der gesellschaftlichen und familienbezogenen Förderung betreffen: Zugang zu Unterkunft, zu Gesundheit, Ausbildung und Anstellung...Die Erklärung von Charleroi (angenommen durch die Entschliessung 243 (1993) der KGRE) unterstreicht diesbezüglich, dass man gut daran tut, "sich mit den benachteiligten Personen, Familien und Gruppen in Verbindung zu setzen, um die faktische Form der Aktionen und öffentlichen Strukturen zu konzipieren".

7. Die Städte und Regionen müssen im übrigen vorbildliche Arbeitgeber sein und die Staaten und europäischen Institutionen veranlassen, ihren rechtlichen Rahmen für das Vorgehen gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung zu ändern. Sie müssen sich ausserdem im Rahmen von Partnerschaften mit Städten und Regionen Ost- und Südeuropas an einem gemeinsamen Vorgehen beteiligen.

8. Zu einer weltweiten Wirtschaft gehört eine weltweite Solidarität. Europa wird dann eine echte Solidarität mit den übrigen Kontinenten bekunden, wenn die Solidarität innerhalb seiner eigenen Grenzen beispielhaft geworden ist (Kampf gegen Elend und Unwissenheit, gesellschaftliche Kohäsion, volle Aktivität für Alle).

II - Die Kontinuität sichern und den Übergang steuern - anders

1. Die klassischen Wege zur Schaffung von Arbeitsstellen und Aktivitäten.

Das Wirtschaftswachstum scheint nicht mehr in der Lage zu sein, neue Arbeitsstellen - zumindest in genügender Anzahl - zu schaffen.

Daher legt es sich nahe, sämtliche Interventionsmöglichkeiten der öffentlichen Hand entschiedener und systematischer zu untersuchen, als man das bisher getan hat.

Zahlreiche Verantwortliche und öffentliche Institutionen (beispielsweise die Europäische Kommission) haben die Einleitung ehrgeiziger Investitionsprogramme (grosse Infrastrukturarbeiten, Wohnungsbau usw.) vorgeschlagen, die leider noch nicht bzw. nicht hinreichend verwirklicht sind. Um sich in nennenswerter Weise auf die Arbeitslosigkeit auszuwirken, müssten sich solche Programme vorab an die unqualifizierten Arbeitskräfte richten.

An vielen Orten Europas ist man heute dabei, Sinn, Richtung, Form und Struktur der lokalen Entwicklung neu zu überdenken5, auch in den ländlichen Gebieten, seien diese nun in einen entwickelten6 oder einen traditionellen7 wirtschaftlichen Kontext eingebettet.

Im übrigen wird eine Verringerung der Arbeitskosten, vor allem der Kosten der nichtqualifizierten Stellen, vorgeschlagen. Diese Möglichkeit darf allerdings nicht zur Verarmung der am stärksten benachteiligten sozialen Kategorien führen. Deshalb sollte die Reduktion der Sozialabgaben auf die bescheidensten Löhne durch die öffentlichen Haushalte getragen werden.

Eine verbesserte Flexibilität der Arbeit innerhalb wie ausserhalb der Unternehmen (beispielsweise ein besseres Funktionieren der Arbeitsämter, die Schaffung integrierter Strukturen für die Verwaltung der verschiedenen Anstellungs-Hilfen usw.), die Mässigung der Löhne, die Einteilung der Arbeitszeit, die Förderung der beruflichen Ausbildung sind alles Mittel zur Erhöhung des Stellenvolumens und zur Erleichterung der Begegnung zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage

- unter der Bedingung, dass sie nicht zuguterletzt die bescheidensten Arbeiter noch mehr schwächen.

Die Behörden müssten regelmässig und häufig Ermittlungen anstellen über die Möglichkeiten der kleinen und mittleren Unternehmen, Stellen zu schaffen, und mit allen Mitteln jedes sich auf diesem Sektor andeutende Potential, wie auch Potentiale in jedem anderen vielversprechend erscheinenden Sektor (Agrotourismus, handwerkliche Traditionen8, Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Kulturgüter usw.), fördern.

Letztlich legt es sich nahe, die Folgen einer jeden drastischen und ersatzlosen Reduktion der Personalkosten für die Gesellschaft sehr ernsthaft zu prüfen.

2. Zugang zu Unterkunft, Schaffung von Stellen und Aktivitäten sowie soziale und wirtschaftliche Integration.

Der Zugang zu Unterkunft steht im Zentrum mehrerer Ziele: soziale Einfügung, qualifizierende Ausbildung, Zugang zu einem Beruf und einer Anstellung.

Der Bau von Neuwohnungen, die Renovierung von Altwohnungen, die Beschlagnahme von Leerwohnungen und die Rehabilitierung verkommener Stadtgebiete beinhalten eine beträchtliche Reserve an neuen Arbeitsstellen und Aktivitäten. Selbst wenn sie Arbeitslosenunterstützung beziehen, muss den Bewohnern gestattet sein, ihre eigenen Wohnungen zu unterhalten und zu verbessern.

Sozialwohnungen sollen den Wohnbedürfnissen von wirtschaftlich schwachen Gruppen nachkommen und deren wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Integration erleichtern.

Die Quantität und die Qualität der sozialen und/oder nachbarschaftlichen Dienstleistungen bedingen jede echte sozio-ökonomische Eingliederung und sind selbst eine beträchtliche Quelle von Arbeitsstellen und Aktivitäten.

Es ist Sache der öffentlichen Hand und, in erster Linie, der Staaten und der europäischen Institutionen, allen ein Recht auf Unterkunft zu garantieren.9 Die selben Instanzen sind es, die eine Intervention in diesem Bereich anregen und die Aktion der kommunalen Gebietskörperschaften flankieren und unterstützen müssen.

Mehrere gesellschaftliche Akteure, darunter auch die Unternehmen, können den Zugang zu Unterkunft erleichtern und die Zwischenstrukturen unterstützen, welche auf eine Arbeitsstelle vorbereiten. Es empfiehlt sich, dass sie ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet vereinen, um gemeinsam Strategien für die lokale Ebene auszuarbeiten.

Die Staaten und Gebietskörperschaften müssen die einschlägigen Reflexions- und Aktionsgruppen entlang den unter anderem auch in der Entschliessung 244 (1993) der KGRE über "das Recht auf Wohnung und die Bedingungen seiner Umsetzung durch die Gemeinden und Regionen" entworfenen Richtlinien mit neuer Dynamik versehen.

Die Städte und Regionen sind aufgefordert, dem Beispiel zu folgen, das einige von ihnen gesetzt haben10, indem sie dem "Programm IGLOO" beitreten, welches die Gründung von lokalen Projekten sowie die Teilnahme an nationalen Gruppen vorsieht, die über Möglichkeiten eines transsektoriellen Vorgehens und des Einwirkens durch Partner vor Ort ( Aufhebung der eine allmähliche Integration beeinträchtigenden Hindernisse und Zusammenfügung der institutionellen Scharniere11) reflektieren.

3. Hilfe für Arbeitslose und Jugendliche in Schwierigkeiten.

Jeder Arbeitslose ist ein Arbeitsloser zuviel. Die Demokratie beruht auf dem Prinzip der ausgewogenen Teilhabe Aller an den Möglichkeiten, die die Gesellschaft bietet.

Die Arbeitslosen sind unsere Mitbürger: sie haben das Recht, von ihrer Stadt, ihrer Region und ihrem Land zu erwarten, dass diese sich um sie kümmern.

Die Volksvertreter, Institutionen, Behörden und insbesondere die Bürgermeister haben die Pficht, mit Phantasie und Kreativität einzugreifen:

- indem sie diejenigen verteidigen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, sei dies direkt oder sei es indirekt, indem sie beispielsweise die Schaffung von Vereinen zur Verteidigung der Arbeitslosen fördern, welche Allen offenstehen;

- indem sie zusammen mit den Sozialpartnern und der bürgerlichen Gesellschaft Strukturen zur Verhütung von Arbeitslosigkeit schaffen: Strukturen für die Umschulung für die einzelnen Unternehmen, die einzelnen Wirtschaftszweige oder Tätigkeitssektoren12;

- indem sie praktische Massnahmen im Hinblick auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt der aus der Gesellschaft Ausgegrenzten ergreifen, sei es über kommunale Unternehmen, über nichtstaatliche Organisationen für die berufliche Eingliederung oder durch den Abschluss von Verträgen mit dem Privatsektor usw.13

- indem sie sich besonders um Jugendliche auf Arbeitssuche kümmern14.

- indem sie jede aus dem örtlichen Vereinsleben erwachsene Mikroinitiative aufwerten15.

4. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.

Die neuen Technologien sind der Ursprung der Informations- und Lerngesellschaft. Die auf die neuen Technologien gegründeten Industrien entwickeln neue Organisationsformen, die ihrerseits neue Qualifikationen erfordern. So entwickelt sich ein neuer Arbeitsmarkt, der den Europäern neue, sie aufwertende Gelegenheiten bietet16.

Die Nutzung der Information und ihre Umwandlung in Wissen kann neue Berufe auf den Plan rufen, die der Kreation und der Zusammenarbeit mehr Platz einräumen.

Die Einführung neuer Techniken schafft neue Möglichkeiten der Qualifikation, neue mögliche Berufe, Aktivitäten und neue Entfaltungsmöglichkeiten. Sie stellt jedoch für zunehmende Bevölkerungsgruppen die Arbeitsplätze in Frage.

Insbesondere ist die Auswirkung der neuen Technologien auf den Dienstleistungssektor noch nicht bekannt. Hier laufen ganze Gruppen Gefahr, durch den Verlust ihrer Qualifikationen und gegenwärtigen Arbeitsplätze benachteiligt zu werden.

So verlangt man von den Arbeitern immer mehr Anstrengungen, sich an die neue Situation anzupassen, Anstrengungen, die wohl stärker auf den wenig qualifizierten und schwach entlöhnten Arbeitskräften lasten.

Die Einführung neuer Technologien zeigt auch neue, noch nicht evaluierte Gefahren auf, so etwa eine Tendenz zum Rückzug auf sich selbst (Vereinsamung, Vereinzelung) und zur Verwechslung von Möglichem und Wirklichem.

Es bleiben noch weitere Fragen offen: wie lässt sich die Informationsgesellschaft an die Bedürfnisse der Menschen anpassen ? Wie lässt sich die Informationsgesellschaft Allen zugänglich machen ? Wie lassen sich die Früchte und Vorteile der neuen Technologien gerecht verteilen ? Wie können die benachteiligten Gruppen Zugang zu der Informations- und der Lerngesellschaft bekommen, wo sie sich doch nur wenig an der Arbeitsgesellschaft beteiligt haben, sofern sie nicht sogar von dieser abgelehnt worden sind ?

Lauter Fragen, welche die Behörden zu beantworten versuchen müssen.

Als erstes müssten alle Behörden, gleichgültig auf welcher Ebene:

- versuchen, zu einer klaren Voraussicht der technologischen Infrastrukturen in der Zukunft zu gelangen,

- für die Mitwirkung aller gesellschaftlicher Komponenten offene Reflexionsorgane schaffen mit dem Auftrag, insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene gesellschaftlich nutzbringende Anwendungen von Technologien auszuprobieren,

- die Evaluation solcher Versuche sodann veröffentlichen.

5. Die berufliche Ausbildung

Um den Übergang besser zu gestalten, muss schon heute auf die voraussehbaren Qualifikationsbedürfnisse eingegangen werden17:

- indem man versucht, die theoretischen Kenntnisse und die technischen bzw. beruflichen Qualifikationen in einem ausgewogeneren Verhältnis zu vermitteln,

- indem man die intermediären Qualifikationen von Technikern und Hochspezialisierten weiterhin pflegt,

- indem man neue Strukturen für ergänzende Berufsausbildungen vorsieht: Fernseh-Unterricht, Einführung in die Gruppenarbeit, autonomes Lernen usw.,

- indem man Fortbildung für ältere Arbeitnehmer vorsieht,

- indem man gezielte Unterrichtsprogramme für ein analphabetisches Publikum oder ein solches mit niedrigem Bildungsniveau vorsieht, sowie für die ärmsten Arbeitnehmer auf zeitliche Dauer und eine aufwertende Pädagogik gegründete Wege der beruflichen Eingliederung vorsieht und den Schulen besondere Bemühungen um die Kinder aus benachteiligten Kreisen und armen Wohngegenden abfordert, wobei der Staat unter Beteiligung der Unternehmen ein zukunftsorientiertes Fortbildungssystem garantieren müsste, das verfrühte, hastige, starre oder lähmende Berufswahlen verhindert.

6. Umverteilung von Arbeitsplätzen und Einkommen.

Einesteils gibt es in unseren Gesellschaften solche, die einen Arbeitsplatz haben, und solche, die keinen haben. Es gibt überdies solche, die viel arbeiten und solche, die nie arbeiten und dafür, übrigens nicht in jedem Fall, entschädigt werden. Andererseits steigen Produktivität und Reichtum regelmässig.

Es scheint somit selbstverständlich, dass man das "weniger" (die Arbeit) und das "mehr" (den Reichtum) teilen muss. Anders gesagt, geht es darum, die Arbeitsdauer zu verkürzen und die Einkommen umzuverteilen. Allerdings fragt es sich, wie das erreicht werden könnte.
Als erstes müssten die hohen Einkommen für die gesamte Dauer des Übergangs auf Lohnerhöhungen verzichten, bzw. in Reduktionen zugunsten der Schaffung neuer Arbeitsplätze einwilligen. Sollte man sodann die Arbeitszeit kollektiv verkürzen ? oder wären einzelne Arbeitszeitverkürzungen vorzuziehen ?

Diese Fragen sind Gegenstand einer breiten Debatte in Europa. Es werden mehrere Hypothesen diskutiert, aber es liegen auch schon viele Erfahrungen vor. Welches auch immer die gewählte Hypothese, der durchgeführte Versuch oder der Lösungsvorschlag sei, so sollten doch in jedem Fall einige grundsätzliche Überlegungen im Gedächtnis behalten werden:

- die Verkürzung der Arbeitszeit entspricht einer historischen Tendenz;

- es handelt sich dabei um eine Erscheinung, welche die gesamte Gemeinschaft angeht; es ist deshalb wichtig, dass die auf dem technischen Fortschritt beruhenden Produktivitätsgewinne gerecht zwischen den Unternehmen, den Arbeitnehmern und der Schaffung neuer Arbeitsplätze verteilt wird;

- wichtig ist, dass die Auswirkung einer Arbeitszeitverkürzung auf die Arbeitslosigkeit evaluiert wird;

- jede individuelle Lösung im Sinne einer Reduktion der Arbeitszeit (oder des Einkommens) muss freiwillig sein;

- diese Entwicklung in Richtung Teilzeit muss jedoch sozial kontrolliert werden, um Missbrauch und neue Formen der Ausbeutung zu vermeiden;

- die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien schaffen immer mehr kollektiven Reichtum mit weniger Arbeit und sehr viel mehr Maschinen: dieser Reichtum muss angemessen umverteilt werden, sonst wird die Arbeitsteilung nicht wirksam sein;

7. Es muss ein System erfunden werden, worin in Zukunft das Einkommen nicht mehr ausschliesslich an die Arbeitszeit gebunden ist, sondern auch an ohne Arbeit erzielten Mehrwert.

8. Der Übergang muss jedoch auch flankiert sein von einer progressiven, aber tatsächlichen Reform des Steuerwesens (Rentenstatut, Spekulationskapitalien, Solidaritätssteuer, Finanzierung der Sozialversicherung).

III - Das Neue befreien

Man sollte aus dem herkömmlichen Dilemma Arbeitslosigkeit/Arbeit herausfinden, indem man das Neue befreit;

Nur etwas Neues ermöglicht es, eine Welt zu erneuern, die sonst Gefahr liefe, unter dem Gewicht überalterter Prozesse zusammenzubrechen;

Das Neue in dieser Welt sind die neuen Generationen: das sind die Jugendlichen, die neue Aktivitäten einführen und neue Berufe ausüben werden;

Die gegenwärtige Krise der europäischen Gesellschaft ist auch eine Krise des Alterns, wie sich dies auch in dem zunehmenden Alter der europäischen Bevölkerung und dem fast durchgehenden Sinken der Geburtenraten zeigt;

Die gegen das Aufblühen der neuen Tätigkeiten und Berufe errichteten Barrieren sind oft vielfältig, komplex, zuweilen heimtückisch, aber alle führen zu dem selben Ergebnis: sie zwingen grosse Anteile der Jungen oder vergleichsweise Jungen zu Untätigkeit und gesellschaftlicher wie politischer Nutzlosigkeit;

Es ist daher die Aufgabe jedes Verantwortlichen, jedes politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Akteurs, alle Hürden abzutragen, die die Zukunft der Jugendlichen und damit auch die Zukunft unserer Demokratien und Freiheiten gefährden.

I. Als erste Priorität muss der Weg geebnet werden durch eine adäquate Bildungs- und Ausbildungspolitik18, die sich auf folgende Prinzipien stützt:

1. Hauptausbildungsziel für die jungen Generationen ist die Entstehung einer kreativen und erfüllenden Tätigkeit, die der Lernende spontan, nämlich aufgrund einer wirklich persönlichen Motivation, wählt;

2. Das erfordert den Verzicht auf Routineformen der Beratung, der Nachahmung und der unfruchtbaren Übungen, die verjährte Stereotypen aufrechterhalten zugunsten...

3. .... einer Reihe von Möglichkeiten, die auf unterschiedlichen Beteiligungs-Niveaux beruflichen, sozialen oder kulturellen Aktivitäten entsprechen sowie von Leistungsformen, die eine kollektive Dimension aufweisen und Teamarbeit benötigen;

4. Das Beherrschen komplexer Systeme und das Übernehmen von Verantwortung innerhalb von Beziehungs- oder Gruppennetzen erfordern sehr viel mehr als die einfache Konkurrenz oder den Wettbewerb zwischen Individuen, nämlich Kommunikation, Zusammenarbeit und lebenslanges Lernen;

5. Solide Grundkenntnisse, insbesondere im Lesen, Schreiben und Rechnen sind der Sockel, auf welchem die Ausbildung steht, ihn muss die Schule bereitstellen. Der Kampf gegen Schulversagen und vorzeitigen Schulabgang muss im Zentrum jeder schulischen Einrichtung, ob öffentlich oder privat, stehen, denn jedes Individuum ist einmalig, unersetzlich und lässt die Welt stets neu beginnen;

6. In der Stunde Europas und der Globalisierung schliesslich müssen sich die Behörden einer Politik der Vielsprachigkeit für Alle verpflichten, die neue Aktivitäten und Berufe schafft und für Wirtschaft, Gesellschaft und die Staaten heilsam ist.

II. Zweite Priorität ist die Befreiung der Aktivität von dem herkömmlichen Binom Arbeit/Anstellung:

1. Einer ganzen Reihe von produktiven, sozial gerechtfertigten und kreativen Tätigkeiten. die ausserhalb des traditionellen Rahmens einer Arbeitsstelle liegen, einen echten gesellschaftlichen Status zuerkennen;

2. Eine allmähliche, aber tiefgreifende Reform des Arbeitsrechts einleiten, so dass der Begriff der "Tätigkeit" darin einen Platz hat;

3. Einen "vierten Sektor" konzipieren, der eine Mischung von freiwilligen Tätigkeiten,
unbezahlter Sozialarbeit und solchen Aktivitäten umfasst, die Anlass zu einer anerkannten und dauerhaften "Anstellung" geben;

4. Es handelt sich um Bereiche, die einen freiwilligen, persönlichen und sozialen Einsatz erfordern, um Tätigkeiten von tiefgehendem sozialem Interesse, die ein besonders gratifizierendes Gefühl der Menschlichkeit vermitteln, so das Betreuen Anderer - Jugendlicher, Alter, armer Familien, Behinderter -, Teilnahme an gemeinnützigen Tätigkeiten, Förderung des Umweltschutzes, Erhaltung des Erbes aus der Vergangenheit (Kulturgüter), der Einsatz für vorschulische Tätigkeiten oder für die Altenhilfe usw.

5. Die Tätigkeiten der Ausbildung, der Kreation und der Freizeit haben alle eine soziale Anerkennung nötig, die ihrem jeweiligen Grad an Kreativität entspricht. Es handelt sich somit um das Aufblühen einer neuen, "positiven" Kultur der freiwilligen Leistungen, die das Individuum persönlich einbeziehen und ihm echte Erfüllung bereithalten. Eine individuelle Persönlichkeit erwirbt man einzig in Tätigkeit und Selbstverwirklichung. Dies sollte für den Menschen des 21. Jahrhunderts als ein Recht betrachtet werden;

6. Werden die persönlichen, freiwillig übernommenen Tätigkeiten und das soziale Engagement an Breite und Bedeutung zunehmen ? Wie können die Behörden darauf verpflichtet werden?

7. Ein Wechsel der Perspektiven ist vonnöten. Anstatt vom Stellenangebot auszugehen und die Stellennachfrage daran anzupassen, müsste von letzterer ausgegangen werden, wozu auch und vor allem die Langzeitarbeitslosen gehören, und so die zu erfüllenden kollektiven Aufgaben konzipiert werden.

Es gibt in der Tat verborgene Bedürfnisse (vor allem im sozialen, kulturellen und Umweltbereich), die nicht befriedigt werden können, da sie unlösbar sind.

Es geht nun darum, die Kompetenzen und Möglichkeiten der nicht genutzten menschlichen Ressourcen an jedem Ort, in jeder Stadt und jedem Stadtteil, jedem Gebiet oder jeder Region zu ermitteln, um die zu erfüllenden Aufgaben zu erkennen, vorausgesetzt allerdings, dass dies zu einem kollektiven Anstoss führt.

8. Der neue Tätigkeitssektor muss auch Freiwilligen, gemeinnützig Tätigen offenstehen. Er darf ausserdem nicht zum Instrument einer Zweiteilung der Gesellschaft werden. Um diesem Sektor zum Aufschwung zu verhelfen, müssten gemischte Finanzierungsformen genutzt werden (Steuern, Mäzenat, Fakturierung der erbrachten Leistungen, und insbesondere Umwandlung der passiven Ausgaben der Arbeitslosenentschädigung in aktive Ausgaben).

IV - Den Bürgersinn fördern

Aktion der Gebietskörperschaften für die lokale und regionale Entwicklung der menschlichen Tätigkeiten.

1. Eine neue Situation erfordert eine neue Antwort.
Nur ein sie mobilisierendes Projekt kann die Bürger guten Willens dazu bringen, sich besser um ihr Gebiet, ihre Gemeinde, ihren Stadtteil, ihre Stadt und ihre Region zu kümmern. Angesichts einer vielfältigen Krise mit komplexen Ursachen ist es notwendig, dass sich die Bürger verantwortlich fühlen für die Zukunft und sich auf territorialer Ebene zusammentun.

2. Möglichst viele müssen über die Besonderheit ihres Territoriums (Geschichte, Geographie, bauliche und nichtbauliche Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft usw.) nachdenken, um seine Stärken und seine Schwächen auszumachen und seine Möglichkeiten den Tatsachen entsprechend zu beurteilen.

3. Um allem Neuen eine Chance zu geben, muss ein "Netz" konzipiert werden, mit dessen Hilfe jede innovative Idee oder Andeutung, jeder Vorschlag, von wo auch immer er komme, erfasst und evaluiert werden kann, um ihre Auswirkungen auf Land und Menschen zu ermessen.

4. Jedes Territorium, jede Gemeinde, Stadt und Stadtteil wie auch Region müsste eine Struktur für Reflexion, Konzertation und Vorschläge aufbauen.

5. Nur ein territoriales Netzwerk von freiwillig und auf einer pluralistischen Basis engagierten Bürgern kann zu einer Gesamtschau führen, wie sie heute zu fehlen scheint, und so den Prozessen entgegenwirken, die in unseren Gesellschaften am Werk sind und auf eine doppelte Segregation - territorial und personal - hinarbeiten. So kommen zahlreiche Gesichtspunkte zusammen: Vielfalt und Freiheit gehören ja auch zusammen.

6. Die bürgerliche Gesellschaft, die Vereine, die nichtstaatlichen Organisationen, freiwillig Arbeitende, ehrenamtlich Arbeitende müssen sich auf territorialer Ebene horizontal und zugleich vertikal verbünden. Die selben Personen bewohnen zugleich eine Gemeinde oder Stadt, eine Region und ein Land. Ein und dieselbe Person sieht somit unterschiedliche Realitäten.

7. Von Beginn an ist die Beteiligung möglichst Vieler nötig, um den Erfolg des Unternehmens zu sichern: die Beteiligung der Jugendlichen vor allem, aber auch jener Personengruppen, die normalerweise vergessen werden (Langzeitarbeitslose, in grosser Armut lebende Menschen, Einwanderer). Es gehört zur Pflicht jedes verantwortungsbewussten Bürgers, zum Abbau der Hindernisse beizutragen, die die Partizipation dieser aufgrund ihrer Lebensumstände als gesellschaftlich unnütz geltenden Personen verhindern.

8. Die politischen und gesellschaftlichen Akteure, die Unternehmer, die Gewerkschaften, die bürgerliche Gesellschaft, die engagierten Bürger müssten eine durch einen Kalender ergänzte Befragung durchführen im Hinblick auf ein kurz-, mittel- und langfristiges Projekt zur Entwicklung der menschlichen Aktivitäten auf der Ebene der kleinsten territorialen Einheiten.

9. An der Schwelle des Jahres 2000 ist es zwingend, eine neue Form der demokratischen und pluralistischen Planung zu konzipieren und umzusetzen, die offen und flexibel ist, von der Basis kommt (d.h.aus den kleinsten territorialen Einheiten) und nach dem Subsidiaritätsprinzip zu den höheren territorialen Einheiten aufsteigt.

10. Das gleiche Prinzip dient der Organisation oder Umorganisation der Behörden, Verwaltungen und der bürgerlichen Gesellschaft als Leitfaden.
Die Behörden müssen die Fähigkeit zur Interaktion mit einfachen -motivierten und engagierten- Bürgern zurückgewinnen.

Die öffentlichen Verwaltungen müssen sich reformieren, müssen aktiv und leistungsstark werden.

Eine vermehrte Beteiligung der Bürger, insbesondere der jungen, am Entwurf eines gemeinschaftlichen Projekts wird dem öffentlichen Leben einen neuen Anstoss geben. Wenn die Politik durch die Verwaltung verschlungen wird, dann erstickt letztere, oder sie wird unwirksam.

Die globale Langzeitvision, das "Projekt" mithin, ermöglicht es, zwischen politischer und administrativer Ebene zu unterscheiden. Wie sollten sich auch die verschiedenen öffentlichen und privaten Interventionen integrieren oder koordinieren lassen, wenn nicht klar unterschieden wird zwischen den durch Viele gemeinsam festgelegten Zielen und den für ihr Erreichen zur Verfügung stehenden Mitteln!

Ohne tatsächliche Partizipation der Bürger am Entwurf eines gemeinsamen Projekts für gemeinsames Handeln bleiben Worte wie Integration, Multidisziplinarität oder Koordination leere Formeln. Im Gegenteil: die aktive Partizipation gibt Prinzipien wie Autonomie, Subsidiarität, Nachbarschaftlichkeit, Dezentralisierung erst ihre volle Bedeutung.

11. Das kollektive Projekt zur Entwicklung der Aktivitäten darf nicht als blosser Verwaltungsakt konzipiert werden. Vielmehr ist es ein anhaltender politischer Akt, ein konzertiertes Handeln. Es gibt der Spontaneität, der Kreativität und dem Neuen eine Chance, sich in einen umfassenden konkreten Kontext einzufügen. Es ist ein Rahmen für die Erziehung zum Bürger, auch für die Jugendlichen.

12. Es muss sorgfältig unterschieden werden zwischen einem kollektiven Projekt und einem Plan. Während das Ziel des ersten politisch und solidarisch ist (das gemeinsame Handeln), antwortet eine Planung immer auf die Frage, "wie" die festgelegten Ziele zu erreichen sind, weshalb diese vor allem jeweils Sache von Berufsleuten, Technikern und Spezialisten ist. Doch müssen die Modalitäten der Umsetzung gemeinsam mit der bügerlichen Gesellschaft in einem Geist der Öffnung und des ständigen Dialogs konzipiert werden.
Eine derartige Planung muss es gestatten,

- den "Neuartigkeiten" gleiche Chancen zu geben, ohne zusätzliche Ungleichgewichte, sei es territorialer oder personeller Art, zu schaffen,

- zu kohärenten Realisierungen zu gelangen,

- die Tore für eine wahrhaftig gemeinsame Zukunft zu öffnen.

1 Als Richtentscheid durch den Kongress angenommen am 4. Juli 1996 und durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 5. Juli 1996 angenommen (siehe Dok. CG (3) 5, Entschliessungsentwurf vorgelegt von Frau P. Dini, Berichterstatterin)

2 Ausserdem beteiligten sich die Vertreter folgender Organisationen: Europäischer Gewerkschaftsbund (Brüssel), JOC Européenne (Brüssel), Institut de Recherche du Mouvement ATD Quart Monde (Brüssel), Association internationale des quartiers en crise (Brüssel), Internationale Föderation der sozial-kulturellen Nachbarschaftszentren (Strassburg), Association européenne des régies de quartiers (Strassburg), Fédération européenne des associations nationales travaillant avec les sans-abris (Brüssel).

3 Artikel 1 der Revidierten europäischen Sozialcharta: Recht auf Arbeit.

4 Artikel 30 der Revidierten europäischen Sozialcharta - Recht auf Schutz vor Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung: "Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Schutz vor Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung sicherzustellen, verpflichten sich die Parteien: a. im Rahmen eines globalen und koordinierten Vorgehens Massnahmen zur Förderung der Zugänglichkeit zu Arbeit, Unterkunft, Ausbildung, Bildung, Kultur sowie Sozialhilfe und medizinische Betreuung von solchen Personen und ihrer Familien zu ergreifen, die gesellschaftlich ausgegrenzt und arm sind oder es zu werden drohen; b. diese Massnahmen bei Bedarf im Hinblick auf ihre Neuanpassung zu überprüfen."

5 Siehe die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Strategie zur Entwicklung lokaler Initiativen.

6 Wie im Test-Tal im Vereinigten Königreich.

7 Wie im Fall Südost-Polens.

8 Wie etwa die "Teppiche von Arraiolo" in Portugal.

9 Artikel 31 der CSER: Recht auf Unterkunft:" Damit das Recht auf Unterkunft tatsächlich ausgeübt werden kann, verpflichten sich die Parteien, Massnahmen zu ergreifen mit dem Ziel: 1. den Zugang zu hinreichender Unterkunft zu fördern; 2. Obdachlosigkeit zu verhüten oder zu vermindern, um sie mit der Zeit völlig auszumerzen; 3. Die Kosten für Unterkunft für Personen mit ungenügendem Einkommen erschwinglich zu machen."

10 Wie Wallonien dies über den "Fonds de logement des familles nombreuses" tut.

11 Das Programm Igloo wird gemeinsam geführt durch die FEANTSA, den CECODMAS und die CES (Brüssel).

12 Siehe z.B. den Wiener Arbeitnehmer-Förderungs-Fonds (WAFF) (Österreich).

13 Wie in dem deutschen Beispiel von Unternehmen, deren Zweck die Beschäftigung ist.

14 Nach dem Beispiel von Helsinki.

15 Wie die von der "Fédération internationale des centres culturels et communautaires pour développer les services de proximité" oder durch die "Régies de quartiers" in Frankreich, Belgien und vor allem den Niederlanden geförderten.

16 Siehe den Versuch mit den Informations-Autobahnen in der Toscana.

17 Siehe diesbezüglich den Versuch der Stadt Budapest.

18 Die Teilnehmer haben mit Interesse die von der "JOC européenne" ausgearbeitete und an alle mit beruflicher Ausbildung befassten Institutionen und Organisationen gerichtete Charta der Forderungen betreffend die Berufsbildung zur Kenntnis genommen.