29. TAGUNG

Straßburg, 20.-22. Oktober 2015

Aufnahme von Flüchtlingen in Europa

Erklärung 4 (2015)[1]

Der Kongress:

1. stellt mit Besorgnis fest, dass:

a. die Erklärung, die das Präsidium des Kongresses am 31. Oktober 2013 über die tragischen Schiffsbrüche von Flüchtlingen im Mittelmeer verabschiedete, leider noch immer traurige Realität ist und sich unaufhörlich menschliche Dramen nun an allen Außengrenzen der Europäischen Union abspielen;

b. mangels einer gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik der massive Zustrom von Flüchtlingen die Solidarität zwischen den europäischen Staaten bei der gerechten Verteilung der Migrationsströme und aufgewendeten Ressourcen zur Aufnahme der Flüchtlinge unter menschenwürdigen Bedingungen, für die der Europarat und der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas eintreten, aushöhlt. 

c. neben der großen Solidarität der Bürger diese humanitäre Notsituation auch zu Reaktionen des Abgrenzens, fremdenfeindlichen und rassistischen Gewalttaten führt, gegen die der Kongress seit vielen Jahren mit seinen Berichten und Ersuchen an die Mitgliedstaaten des Europarates und seinen konkreten Aktionen vor Ort ankämpft,

2. erinnert mit Entschlossenheit daran, dass:

a. die europäischen Staaten eine geteilte Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen auf ihrem Hoheitsgebiet unter Achtung des geltenden Asylrechtes und der Menschenwürde tragen;

b. Europa voll und ganz seinen Teil zur Aufnahme der syrischen Flüchtlinge beizutragen hat, von denen sich nur 6% auf europäischem Boden (außerhalb der Türkei) befinden, während die Türkei, der Libanon und Jordanien mehr als 4 Millionen aufnehmen;

c. die Gemeinden und Regionen, unabhängig von ihrer geografischen Lage in Europa, angesichts der humanitären Notlage eine wichtige Rolle bei der Aufnahme der Flüchtlinge spielen müssen, damit die Grenzstädte und die Städte entlastet werden, die dem Mittelmeer und Syrien am nächsten liegen;

d. diese Rolle konkret vor Ort bedeutet, angemessene öffentliche Gebäude für die Aufnahme von Flüchtlingen, politische und materielle Unterstützung der Verbände zur Aufnahme von Migranten sowie Mittel zur Erleichterung der Verwaltungsformalitäten, Gesundheitsversorgung, Bildung usw. bereitzustellen.


3. bekundet:

a. ihre Verbundenheit mit dem Prinzip der Solidarität zwischen den europäischen Staaten, dem sozialen Zusammenhalt und Zusammenleben in einer plurikulturellen Gesellschaft;

b. ihre unerschütterliche Überzeugung, dass das Asylrecht ein universelles Grundrecht ist, das jeder Person zuzugestehen ist, die vor Krieg oder Todesgefahr flieht;

c. ihre kategorische Ablehnung jeder Instrumentalisierung der humanitären Krise zu politischen Zwecken;

d. ihre Entschlossenheit, unermüdlich darauf hinzuweisen, dass die Migranten eine Bereicherung für die europäische Gesellschaft sind,

4. ersucht das Ministerkomitee des Europarates:

a. mit der Europäischen Union gemeinsam daran zu arbeiten, damit Einwanderung und Asylrecht Gegenstand einer europäischen und globalen Politik werden, die auf Menschenwürde und Solidarität fußt und die Aufnahme und die Integration der Migranten fördert;

b. darauf zu achten, dass die territorialen Gebietskörperschaften, die zusammen mit der Zivilgesellschaft sich für die Aufnahme der Flüchtlinge einsetzen, besseren Zugang zu nationalen und europäischen Mitteln erhalten,

5. ruft die Regierungen der Mitgliedstaaten des Europarats auf, Sofortmaßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, zur politischen Lösung der Konflikte im Nahen Osten beizutragen, gemeinsam den internationalen Terrorismus zu bekämpfen und den dort leidenden Menschen zu helfen,

6. fordert die Gemeinden und Regionen aller Mitgliedstaaten des Europarates auf:

a. sich nach dem europäischen Appell der Gemeinden Straßburg, Catania und Rovereto am 3. Oktober 2015 zu dem „europäischen Netz der solidarischen Städte“ zusammenzuschließen, um ihre Aktivitäten und Initiativen für die Aufnahme der Flüchtlinge besser koordinieren zu können;

b. die direkten Kontakte zwischen den Gemeinden und Regionen, darunter auch grenzüberschreitende und transnationale, zu intensivieren, um Migranten und Flüchtlinge besser aufnehmen und integrieren zu können;

c. ihre guten Praktiken in europäischen Netzen wie „interkulturelle Städte“, die sich seit Langem mit diesem Thema befassen, auszutauschen und es insbesondere den Gebietskörperschaften zu ermöglichen, die die meiste Erfahrung mit der Aufnahme haben, mithilfe eines Instruments des Kongresses peer-to-peer Schulungen zu organisieren.



[1] Annahme durch den Kongress am 21. Oktober 2015, 2. Sitzung, Berichterstatterin: Gunn Marit HELGESEN, Norwegen (R, EPP/CCE).