Empfehlung 92 (2001)1 betreffend "Städte und Regionen: kulturelle Vielfalt; ein wesentlicher Bestandteil eines geeinten Europas" (Innsbruck, 11.-12. Dezember 2000)

Der Kongress,

1. Erinnernd an seine bisher zu den Kulturpolitiken europäischer Gemeinden und Regionen durchgeführten Arbeiten, insbesondere an die Erklärung von Bordeaux über Regionalisierung (1978, Abschnitt 31), die Konferenzen von Bremen (Mai 1983) und Florenz (Mai 1987) sowie das 6. europäische Wirtschaftsforum (Weimar, 3.-4. Mai 1999), das sich mit der Kultur als Wirtschaftsfaktor befasste;

2. Berücksichtigend:

- die Empfehlung Nr.R (2000) 1 des Ministerkomitees zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder -behörden im kulturellen Bereich (angenommen am 12. Januar 2000) und

- die am 7. Dezember 2000 durch das Ministerkomitee angenommene Erklärung betreffend die kulturelle Vielfalt;

3. Gestützt auf die am 12. Dezember 2000 von den Teilnehmern einstimmig angenommene Schlusserklärung der Konferenz von Innsbruck (11.-12. Dezember 2000);

4. Die zwischen den Mitgliedstaaten wie auch zwischen den europäischen Regionen und Gemeinden bestehenden Ungleichheiten der kulturellen Ausstattung bedauernd;

5. In der Erwägung,

a. dass Zugang zur Kultur ein Menschenrecht ist;

b. dass die Kulturpolitiken jedermann Rederecht und Zugang zur Kultur verschaffen sollen;

c. dass Kulturförderung ein unersetzliches Mittel sein kann, um in der Stadt Gewalttätigkeiten durch benachteiligte junge Menschen zu verhindern oder doch einzudämmen;

d. dass Kultur von Traditionen, vor allem aber von Kreativität und Austausch lebt;

e. dass die neuen Möglichkeiten weltweiter Kommunikation, die Reisen und die Wanderungsbewegungen "Kreuzungen " begünstigen, die der Kreativität und kulturellen Entwicklung förderlich sind;

f. dass der kulturelle Bereich, getreu dem Subsidiaritätsprinzip, wie es sich aus der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und aus der projektierten europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung ergibt, ein ideales Gebiet für kommunales und regionales Wirken ist;

g. dass die künstlerische Kreativität in den europäischen Gemeinden und Regionen angesichts der mit der Globalisierung heute einhergehenden Vereinheitlichungstendenzen unterstützt werden muss;

h. dass der Austausch zwischen den (nationalen, regionalen und lokalen) Kulturen zu den Wachstumsfaktoren des vereinigten Europa gehört, das auf dem Boden einer vereinheitlichten Sprache oder Kultur nicht wachsen könnte;

i. dass kulturelle Güter etwas ganz Besonderes sind und nicht gleichgesetzt werden können mit den Gütern von Wirtschaft und Handel;

j. dass alle Sprachen, ob national, regional oder lokal, an Würde ebenbürtig sind;

k. dass die Erhaltung der sprachlichen Vielfalt Europas für die harmonische Entwicklung unserer Gesellschaften lebenswichtig und es deshalb nötig ist,

i. die jeweilige Muttersprache zu fördern, da diese unverzichtbar ist für die Persönlichkeitsentwicklung und die Identität;

ii. den Sprachunterricht in drei Stufen zu fördern: die Muttersprache, die nationale Sprache, und als Hilfsmittel für Kontakt und Austausch noch, verbreitete Sprachen;

iii. aus starren Forderungen entstehende Sprachkonflikte zu vermeiden;

l. dass Sprachen sich für vielfache Verwendung eignen, sodass das Beherrschen mehrerer Sprachen jedermann freisteht;

6. Empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarats,

a. den Rat für kulturelle Zusammenarbeit (CDCC) und seine Sonderausschüsse aufzufordern:

i. bei seinen Aktivitäten im Bereich der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit die kommunale und regionale Dimension zu berücksichtigen, vor allem auch in den Projekten MOISAIC und STAGE, die im Rahmen der Untersuchung und Verbesserung der Kulturpolitiken in den Mitgliedstaaten des Europarats insbesondere die Kulturpolitiken im Balkan- und im Kaukasusgebiet betreffen;

ii. den KGRE zu seinen Programmen für zwischenstaatliche Zusammenarbeit mitheranzuziehen, um so zwischen den verschiedenen Strängen kultureller Zusammenarbeit innerhalb des Europarats dauerhafte Beziehungen und Synergien zu schaffen;

iii. die wichtige Rolle der Kultur für die Konfliktverhütung zu erkennen und daher die europäischen Gemeinden und Regionen in die Projekte miteinzubinden, die der Kulturausschuss des CDCC auf diesem Gebiet in die Wege leiten wird;

b. die Europäische Kommission aufzufordern,

i. Artikel 151 des die Europäische Gemeinschaft einsetzenden Vertrages (Titel XII, Kultur) voll umzusetzen, insbesondere die Abschnitte 1, 3 und 4:

- "Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes", unter Anerkennung der wesentlichen Rolle der europäischen Gemeinden und Regionen in diesem Bereich;

- "Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für den Kulturbereich zuständigen internationalen Organisationen,
insbesondere mit dem Europarat";

- "Die Gemeinschaft trägt bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrags den kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen";

ii. in ihren Programmen für die Anwärterländer auf die EU-Mitgliedschaft und den durch die Strukturfonds finanzierten Programmen, insbesondere den Projekten zur Förderung der grenzüberschreitenden und der interregionalen Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (v.a. im Programm INTERREG) der Kultur einen erheblich wichtigeren Platz einzuräumen;

c. die Mitgliedstaaten des Europarats aufzufordern,

i. den Grundsatz der Subsidiarität im kulturellen Bereich voll zum Tragen zu bringen und deshalb den Gemeinden und Regionen die Befugnisse und genügenden Mittel einzuräumen, welche ihnen den für die Aufrechterhaltung und den Schutz der kulturellen Vielfalt nötigen Freiraum schaffen;

ii. die Ausarbeitung neuer internationaler Rechtsdokumente (vor allem im Rahmen der UNESCO) mit dem Ziel zu unterstützen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern und hierzu die Rechte und die Rollen der verschiedenen Regierungsebenen (kommunal, regional, national) genauer zu definieren;

iii. falls sie dies noch nicht getan haben, die Europäische Charta der regionalen und Minderheitensprachen zu ratifizieren und die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Charta in sämtlichen europäischen Ländern angewendet wird, sind doch die in den Gemeinden und Regionen gesprochenen regionalen und Minderheitensprachen ein wichtiges und kostbares Element des europäischen Kulturerbes;

iv. sich 2001 aktiv am Europäischen Jahr der Sprachen zu beteiligen;

v. Fragen der Ansiedelung grosser kultureller Einrichtungen im Rahmen einer umfassenden Raumordnungspolitik zu prüfen, um die Ungleichheiten zwischen Regionen wie auch diejenigen zwischen städtischen, stadtnahen und ländlichen Gebieten abzubauen;

vi. die kulturelle Vielfalt der ländlichen Welt zu pflegen als wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und für die Aufrechterhaltung der in den ländlichen Gebieten heimischen Traditionen.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 31. Mai 2001, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (8) 9, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Frau V. Dirksen und Herrn T. Souladze, Berichterstatter)